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Eröffnung des Tages der Archive im Hetjens-Museum – Uraufführung mit Glockengeläut

Lesen Sie hier einen kleinen Erlebnisbericht unseres Mitgliedes Udo Kasprowicz zur Eröffnung des 9. Tages der Archive in Düsseldorfs Hetjens-Museum mit ergänzenden Erläuterungen des Unterzeichners:

"40 Stühle hatten die Mitarbeiter des gastgebenden Hetjens - Museums im Vortragssaal aufgebaut. Mehr Gäste, so vermutete man wohl, würden zur Eröffnungsveranstaltung zum Tag der Archive nicht kommen. Als Frau Dr. Lederle-Wintgens in Vertretung für Herrn Dr. Mauer, den Leiter des Stadtarchivs Düsseldorf, um 18:00 Uhr die Veranstaltung eröffnete, hatten sich etwa 70 Personen eingefunden, die mit einem perfekt organisierten Ablauf belohnt wurden. Oberbürgermeister Thomas Geisel sprach in seinem Grußwort von der Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur für eine Stadt und spielte damit gekonnt vier Referenten den Ball zu, die über die Bestände der kommunalen und kirchlichen Archive wie der Unternehmens und Vereinsarchive referierten und zu

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besonderen Veranstaltungen einluden, in denen sie ihre Schätze einer interessierten Öffentlichkeit präsentieren werden. Zum Sprecher der Vereinsarchive war im Vorfeld Georg Lauer (Medienreferent des Musikvereins) ausgewählt worden. Er würdigte die ehrenamtliche Bestandspflege aller Vereinsarchive und ging auf die Besonderheit des Musikvereins ein, dessen Schriftgut und Notensammlung an vier verschiedenen Stellen aufbewahrt und von drei Institutionen treuhänderisch verwaltet wird. Zum Abschluss hob er als Alleinstellungsmerkmal des Musikvereins dessen Schallarchiv hervor. Im Jubiläumsjahr 2018 werden die Bestände, etwa 200 Aufnahmen, für das Publikum der Festveranstaltungen auf einer Digitalen Musicbox nach Wunsch hörbar gemacht. Um dem Publikum einen Einblick in die Entstehung einer solchen Schallarchivalie zu bieten, trug Frau Carolina Rüegg begleitet von Frau Rie Sakai am Klavier ein bisher noch nie gesungenes Lied vor, das von einem Mitglied aus den ersten Jahren des städtischen Musikvereins verfasst und von einem Düsseldorfer Musiker aus dem Umkreis des Musikvereins komponiert worden war. Das Publikum, darunter Nachfahren des Dichters, waren überwältigt und sparten nicht mit Applaus. Im Anschluss bei Sekt und einem liebevoll arrangierten Buffet gab es nur ein Thema und lobende Worte für die beiden Künstlerinnen. Der Musikverein besitzt nun eine Schallarchivalie von besonderer Authentizität: im Hintergrund der romantisch zarten Klavierbegleitung und durch die Pianostellen der Sängerin hindurch hört man das Abendgeläut der Maxkirche, so dass kein Zweifel daran besteht, dass die Aufnahme nach Düsseldorf gehört" (Udo Kasprowicz).

Die im vorgenannten Bericht erwähnte Komposition bedarf einer Erläuterung, die Udo Kasprowicz dem Publikum mit wohlgesetzten Worten vortrug:

"Guten Abend meine Damen und Herren!

Wir möchten Sie heute Zeuge werden lassen bei der Entstehung einer(.) Schallarchivalie.

Die Geschichte dieses Fundstücks ist ungewöhnlich:

In der Post liegt ein Gedicht. Wirklich ein Gedicht?

Zentriert gedruckt etwa wie die Lyrik von Arno Holz, aber ohne die kunstvolle Achsenspiegelung, die den Werken von Arno Holz die Form eines Baumes oder eines Schmetterlings verleiht, kein Reim, keine Metrik, allenfalls vielleicht ein Rhythmus. Die langen Zeilen weisen eine Mittelzäsur auf, so dass man von An- und Abversen reden kann.

Zum Beispiel „Wenn nimmer wieder mir ein Funke Freude glimmt.“

Wenn also kein Gedicht, dann eher ein Dramenmonolog, in dem der Sprecher seine Situation reflektiert und neuen Lebensmut gewinnt. Um die Sprache Schillers, Goethes und Hölderlins ringend, ihre Ausdruckskraft aber nicht mehr erreichend, beklagt der Sprecher fern der Zivilisation, in tiefer Einsamkeit, den Verlust von Freundschaft, Liebe und Hoffnung. Auf dem Tiefpunkt des Lebensverdrusses beschwört er Gott (den er ganz im Stile einer von der Säkularisation angekränkelten Klassik „Gottheit“ nennt) ihm den Glauben an eine andere Bestimmung zu erhalten als im Grabe zu modern. Mit dem trotzigen Bekenntnis „Du Unerschaffener schufst nur zur Freude mich.“ schließt das Gedicht.

Was hat es nun damit auf sich?

Der Absender des Briefes, Herr Dr. Herman Lohhausen, dem Musikverein über seine Zeitschrift NeueChorszene freundschaftlich verbunden, fand heraus, dass der Dichter Ferdinand Lohausen als Neffe der bereits erwähnten Academie-Mitglieder Lambert und Franz-Joseph in den Umkreis des Düsseldorfer Musiklebens gehört, aus dem 1818 der Städtische Musikverein entstand.

Jetzt kommt der bereits von Herrn Lauer erwähnte Johann August Franz Burgmüller, den Graf Nesselrode tatsächlich zum Städtischen Musikdirektor befördert hatte, wieder ins Spiel. Der scharte in dieser Funktion mehr und mehr musikbegeisterte Bürger um sich und organisierte zu Pfingsten 1818 das erste Niederrheinische Musikfest, das bis 1958 112 Wiederholungen erlebte. Eine sichere Basis für diesen Erfolg schuf ihm der Zusammenschluss verschiedener Musikvereine der Stadt zum Verein für Tonkunst, aus dem Burgmüller im Oktober 1818 den Städtischen Musikverein gründete.

Burgmüller hatte zwei musikalische Söhne: den 1806 geborenen Friedrich, Autor der berühmten „Burgmüller-Etüden“, und den vier Jahre jüngeren Norbert, dessen Walzer in Es-Dur unsere Pianistin Rie Sakei eben so gekonnt vorgetragen hat.

Eröffnung des 9. Tag der Archive im Hetjens-Museum Düsseldorf
Familie Dr. Lohausen mit den Musikvereinsmitgliedern Georg Lauer, Udo Kasprowicz und den Künstlerinnen Rie Sakai und Carolina Rüegg.

Als Vater Friedrich August schon 1824 verstarb, brauchte der 14-jährige Sohn Norbert einen neuen Lehrer und der wurde - sie ahnen es - in dem Düsseldorfer Geiger und Komponist Joseph Kreutzer (Mitglied im Orchester des Musikvereins) gefunden, aus dessen Feder die Komposition stammt, die wir in wenigen Minuten aus dem 162 Jahre währenden Dornröschenschlaf erwecken werden.

Die „Fantasie für Gesang“ ist als gedruckte Version 1856 der Prinzessin Wilhelmine Luise von Preußen zugeeignet. Der Komponist kann die Dedikation nicht veranlasst haben. Er starb 1840 an Lungentuberkulose und hatte keinen Anlass, der damals lebens- und reiselustigen Dame von etwa 40 Jahren einen Text dieses Themas zu widmen. 1856 sah es anders aus. Prinzessin Wilhelmine Luise lebte schon seit Jahren sehr zurückgezogen auf Schloss Eller. Kontakte bestanden wohl nur zu ersten Kreisen in Düsseldorf, zu denen Franz Ferdinand Lohausen, über den  weitere Einzelheiten nicht überliefert sind, sicher zählte. Die Widmung dieses gefällig komponierten Liedes düsteren Inhaltes geht also sicherlich auf ihn zurück.

Möglicherweise erklingt das Stück heute Abend erst ein zweites Mal nach seiner Drucklegung und teilt damit das Schicksal vieler Kompositionen von Kleinmeistern. Was uns zu dieser Seltenheits-Annahme berechtigt ist ein Hinweis aus der Probe im Klavierhaus Schröder. Die Koloraturen für die Sopranistin hat augenscheinlich ein Geiger gesetzt, dem Rücksicht auf den menschlichen Atemfluss beim Singen fremd war. Behutsame Eingriffe der Sängerin behoben diesen Missstand.

Frau Carolina Rüegg und Frau Rie Sakai, beide dem Städtischen Musikverein eng verbunden, die eine als Sopranistin, Singleiterin und gelegentliche Mitsängerin, die andere als bewunderte Korrepetitorin am Flügel, erwecken die Miniatur zum Leben und lassen sie zu einem Stück klingender Tradition des Musikvereins und damit der Musikgeschichte Düsseldorfs werden. (Udo Kasprowicz)".

Eine kleine Anmerkung am Rande, auch als Ergänzung zum Erlebnisbericht von Udo Kasprowicz: Genau in der Minute als der Musikbeitrag der Damen Sakai und Rüegg begann, stimmte die gegenüber dem Nesselrodschen Palais (Hetjens-Museum) liegende Maxkirche ein festliches Geläut sondersgleichen zur Abendmesse an. Das Geläut hatte exakt die Länge des Musikbeitrages. Es entstand ein Wettbewerb zwischen den Glocken der Kirche, in der Felix Mendelssohn Bartholdy zusammen mit dem Musikverein die Kirchenmusik bedient hat und unserer Dame am Klavier und unserer Sopranistin. Die Musikerinnen mussten schon ein wenig bedauert werden. Mit diesem unerwarteten Zwieklang war auch die geplante Tonaufnahme dieser ungewöhnlichen "Uraufführung" zunichte gemacht. So haben wir mit den beiden Damen eine neue Aufnahme, mit oder ohne Publikum, vereinbart die sicherstellt, dass dieses kleine musikalische Juwel der Nachwelt erhalten bleibt und das Schallarchiv des Musikvereins bereichern wird. Der Abend fand mit vielen guten Gesprächen, erfrischenden Getränken, leckeren Häppchen einen fröhlichen Ausklang und wurde von den Akteuren und Gästen als sehr gelungener Auftakt zum Tag der Archive bezeichnet.

Manfred Hill

-Vorsitzender-

am 3.3.2018 - 23.00 Uhr

Bilder: Georg Lauer-Musikverein