Lebenslauf
Regerfest 1922 – Tonkünstlerfest des ADMV: Eine Betrachtung von Prof. Dr. Klaus Wolfgang Niemöller

Bei der Erstellung dieser Chronik des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf war der Autor, als musikwissenschaftlicher Laie, stets bemüht, seinen Recherchen auch ein wissenschaftliches Fundament zu geben. So war er immer interessiert Beiträge von Musikwissenschaftler zu erhalten, die diese Chronik wie ein bestätigendes "Gerüst" bereichern könnten. In der Summe ist dies vielfältig gelungen, wenn der Leser sich die Beiträge z.B. der Mendelssohn- und der Schumannforscher vor Augen führt. Der nachfolgende Beitrag zum Festival im Jahre 1922 reiht sich wunderbar in diese wissenschaftlich fundierte Beitragsreihe ein.

Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Niemöller stellte im Oktober 2017 dem Städtischen Musikverein zu Düsseldorf eine sehr interessante Betrachtung und wissenschaftliche Bewertung der Zeit um das 52. Tonkünstlerfest des ADMV in Düsseldorf zur Verfügung. Einer Veröffentlichung in diesem unserem Chronikwerk stimmte Prof. Dr. Niemöller ausdrücklich zu. Hierfür danken wir Prof. Dr. Niemöller sehr und danken auch, an dieser Stelle, für seine immer wohlwollende Betrachtung und auch wertvolle wissenschaftliche Begleitung unserer ehrenamtlichen Arbeit für die Musik in Düsseldorf. Aus der nachfolgenden Arbeit wird deutlich, in welcher Weise Düsseldorf, aber auch der Städtische Musikverein zu Düsseldorf, in das musikalische Leben Deutschlands eingebunden waren.

"Ein Reger-Fest.

Zum 52. Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1922 in Düsseldorf

von Univ.- Prof. Dr. Klaus Wolfgang Niemöller (Köln)

In der 200-jährigen Geschichte des Musikvereins kommt dem 52. Tonkünstlerfest des ADMV am 3. bis 7. Juni 1922 eine besonderer Rang zu. Es galt, wenige Jahre nach dem Kriegsende ein Musikfest von nationaler Bedeutung auszurichten und zu gestalten. Nicht zuletzt wegen der Aufführungen von zwei Werken Max Regers (1873 - 1916) wurde es in den Augen der musikalischen Fachpresse zu einem „Reger-Fest“.

Bevor auf diesen Aspekt in diesem Beitrag näher eingegangen wird, sind für das Verständnis und die Würdigung der Aufführungsfolge die Rahmenbedingungen eines solchen Tonkünstlerfestes kurz darzulegen.

Der 1861 in Weimar von Franz Liszt gegründete Allgemeine Deutsche Musikverein veranstaltete die Tonkünstlerfeste zur Förderung des deutschen Musiklebens „im Sinne einer fortschreitenden Entwicklung“. Insbesondere sollten Werke junger Komponisten vorgestellt werden, die zuvor von einem Musikausschuss als Jury ausgewählt wurden. Die Organisation der Feste orientierte sich an der der Niederrheinischen Musikfeste, deren erstes 1818 mit der Gründung des Düsseldorfer Musikvereins eng verbunden ist. Am 12. /13. Oktober 1918 hatte der Städtische Musikverein das Doppeljubiläum durch „Jubiläums-Festkonzerte“ gefeiert, trotz Kriegszeiten, einen Monat vor der Kapitulation. Das 90. Fest vor der Zwangspause durch den 1. Weltkrieg hatte 1914 noch der Musikverein Düsseldorf ausgerichtet. Zwar war die Festfolge mit Düsseldorfer Beteiligung 1920 in Aachen wieder aufgegriffen worden, die 1923 eingetretene Pause hatte politische Ursachen, die auch für die Geschichte des Tonkünstlerfestes 1922 in Düsseldorf grundlegend war. Noch unter dem Vorsitzenden Dr. Richard Strauss hatte 1920 in Weimar wieder ein Tonkünstlerfest stattgefunden, 1921 folgte Nürnberg.

Der neue Vorstand - Strauss blieb Ehrenvorsitzender - unter Strauss‘ Schulkamerad Dr. Friedrich Rösch, Komponist und Jurist in Berlin, u.a. mit dem Münchener Akademiedirektor  Prof. Siegesmund von Hausegger, den Generalmusikdirektoren von Köln und Aachen, Prof. Hermann Abendroth und Dr. Peter Raabe, leitete 1922 ein Tonkünstlerfest, dessen Vergabe an Düsseldorf als Ausrichtungsstadt  auch der politischen Situation geschuldet war. Die kulturelle Reaktion auf die Besetzung auch der rechtsrheinischen Städte Duisburg und Düsseldorf durch alliierte Truppen am 6. März 1921 als „Sanktionsgebiet“ zur Durchsetzung der Reparationszahlungen war ein nationale Identität stiftendes Musikfest. Die Aufnahme von Kompositionen auch von ausländischen Komponisten war deshalb einer der Spannungen erzeugenden Umstände.  Nicht von ungefähr wird das  umfangreiche „Programmbuch“ eingeleitet durch die Benennung der zahlreichen Mitglieder des „Ortsauschusse“, angeführt von Oberbürgermeister Dr. Emil Köttgen als Vorstand. Unter den elf Mitgliedern des „Verwaltungsausschusses“  im Vorstand, ergänzt durch nicht weniger als 40 „Sonstige Mitglieder“  waren so als politische Repräsentanten  mehrere Stadtverordnete, Regierungsbeamte, Professoren der Kunstakademie. Unter ihnen war der Landgerichtsrat Dr. Gustav Ophüls, selbst als Pianist auftretend und Brahms-Kenner. Schon 1904 hatte er sämtliche von Brahms vertonten Texte herausgebracht und 1921 war sein Buch „Erinnerungen an Johannes Brahms. Ein Beitrag aus dem Kreis seiner rheinischen Freunde“ erschienen. Als er 1911 mit dem Frauenchor des rheinischen Frauenklubs das Brahms‘sche op.44 aufführte, spielte der Geiger Adolf Busch die Suite op.103 von Max Reger.

Dem „Programmbuch“ war auch ein „Geleitwort“ zum Tonkünstlerfest von Ophüls beigegeben, das am 25. Mai in den „Düsseldorfer Nachrichten“ erschienen war. Hier beklagt er, dass bei der Bewerbung für ein Tonkünstlerfest bisher 37 Städte Düsseldorf mit Erfolg den Rang streitig machen konnten: „Woran mag das wohl gelegen haben?“ So führt er an: „Schon jahrelang haben wir hier ein selbst den schwierigsten Aufgaben Ansprüchen gewachsenes großes Orchester und einen ebenbürtigen gemischten Chor von imponierender Größe unter Leitung unseres im In- und Ausland als virtuoser Dirigent anerkannten Generalmusikdirektor Professor Karl Panzner.“ Für die fortschrittliche Kunstgesinnung in Düsseldorf weist er auch auf die gleichzeitig stattfindende 1. Internationale Kunstausstellung des Expressionismus hin.  Ophüls trat auch der in Düsseldorf verbreiteten Meinung entgegen,  „das Tonkünstlerfest sei eine durch die Kriegszeit etwas veränderte Ausgabe der alten Niederrheinischen Musikfeste mit neuem Firmenschild“, verwunderlicher Weise ohne Werke „unserer alten Meister“; das gewählte Pfingstfest war freilich traditionell die Zeit der niederrheinischen Musikfeste. In Köln hatte Abendroth daher das 92. Niederrheinische Musik mit Gastdirigent Hans Pfitzner auf  9., 11. und 13. Juli verlegt.

Ophüls spricht aber auch an, dass trotz des opferwilligen Entgegenkommens der Stadtverwaltung „unter dem Druck der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ ein Wettbewerb mit anderen Festen nicht möglich sei. Die „Not der schweren Zeit“ erfordere die Zubilligung mildernder Umstände. Schon am 23. November 1918 hatte der Herausgeber der Rheinische Musik- und Theater-Zeitung Dr. Gerhard Tischer gefragt, welche Stellung die Kunst und die Künstler in der neuen demokratischen Gesellschaft einnehmen werde, die derart durch Kriegsschulden belastet sei, dass „für den Genuß, für den Luxus, für jede Annehmlichkeit des Daseins nicht mehr viel übrig bleibt.“ Da die Musik jedoch für die Deutschen kein Luxus sei, müsse sie gerade in schweren Zeiten besonders gepflegt werden.  Das lenkt die historische Aufmerksamkeit auf  die 5. Rubrik des Ortsausschusses „Förderer und Stifter“, darunter Bankdirektoren, Firmen-Besitzer mit heute noch klangvolle Namen (Haniel, Henkel, Mannesmann), auch Salo Pfeffer in der Fa. Leonhard Tietz und Dr. Hans Franck der Fa. L. Schwann, die das „Programmbuch“ druckte.

Zwei Persönlichkeiten der Düsseldorfer Musikwelt führen nun unmittelbar zur großen Herausforderung, ein solches Musikfest zu organisieren: „Flügelfabrikant Rudolf Ibach“ und Constans Heinersdorff. Denn abschließend werden alle Anfragenden auf die „Geschäftsstelle des Tonkünstlerfestes im Ibach-Saal, Bleichstr. 23“ (Ecke Schadowstr. 36) verwiesen, der Filiale der alten Klavier- und Orgelbaufirma in Barmen und Schwelm, und zwar zu Händen von Herrn Constans Heinersdorff . Ibach und Heinersdorff (1874-1936) waren Jugendfreunde, Heinersdorff wurde 1906 Teilhaber der Düsseldorfer Filiale des Klaviergeschäfts. 1910 wurde im hinteren Terrain des Ibach-Hause der „Ibach-Saal“ eröffnet, ein Kammermusiksaal mit ca. 360 Plätzen.

Die programmatische Ausrichtung der Tonkünstlerfeste des ADMV hatte seit Beginn der 1920er Jahre Konkurrenz bekommen, 1921 durch die „“Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“, 1921 durch die Gründung der Kölner Gesellschaft für Neue Musik, später eine Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM), die 1922 in Genf ihr erstes Fest veranstaltete. Das Düsseldorfer Tonkünstlerfest, dessen Aufführungen alle im großen „Kaisersaal“ der Städtischen Tonhalle  mit ihren  2.300 Sitzplätzen stattfanden,  übertraf sie an Aufführungszahlen und Vielfalt. Es  wurden an den drei Tagen des Pfingstfestes in zwei Orchesterkonzerten, zwei Kammerkonzerten, einem Chorkonzert und einer Opernaufführung Werke von 17 Komponisten aufgeführt, darunter 15 Uraufführungen einschließlich der Dramatischen Ballade „Anneliese“ des Berliners Carl Ehrenberg in der Oper. Sie dirigierte der später so berühmte Erich Kleiber,  der von der Oper Elberfeld –Barmen am 31. Juli 1921 zum Musikalischen Oberleiter berufen worden war. Korrepetitor war Joseph Neyses, Dirigent des Bach-Vereins, der spätere Direktor des Robert-Schumann-Konservatoriums (seit 1932).

Im Gegensatz zu Panzner gelang den selbst dirigierenden Komponisten nicht immer die Orchesterleitung, obwohl z.B. Emil Peeters in Bochum Theaterkapellmeister war. Alfred Heuß warf in der Zeitschrift für Musik den Programmgestaltern des Tonkünstlerfestes 1922 vor, ihre Leute systematisch „nach links“ zu hetzen und die große deutsche Vergangenheit zu verleugnen. Dabei argumentierte er auch antisemitisch, indem er die spekulative Loslösung von der Tonalität vor allem den jüdischen Komponisten zuschrieb.  So ergäbe sich gewissermaßen von selbst, „daß Komponisten jüdischer Abstammung in ungeahnter Menge in den Vordergrund treten konnten.“ In der Tat waren es mehrere junge Komponisten, die als Schüler von Franz Schreker in Wien, später in Berlin ( Alois Hába,  Jascha Horenstein) und von Arnold Schönberg in Wien (Karl Horwitz, Paul A. Pisk,  Sándor Jemnitz) zugleich eine kritisierte Internationalisierung mit sich brachten.

Leider fehlen im Bestand des ADMV im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar gerade die Listen für die meist hunderte von eingesandten Kompositionen, die der „Musikausschuss“ 1921/22 auszuwählen hatte. 1922 gehörten zu ihm u.a. die Münchener Komponisten Siegmund von Hausegger und Joseph Haas, die Berliner E.N. v. Reznicek und Heinz Tiessen, dazu der Dirigent Hermann Scherchen und der Musikwissenschaftler Dr. Georg Schünemann in Berlin. Es verwundert so nicht, dass in den  Musikblättern des Anbruchs, der Wiener Zeitschrift , die insbesondere für den Schönberg-Kreis eintrat, nicht nur ein Bericht des Herausgebers Paul Stefan erschien, sondern vor dem Fest ein Artikel „Düsseldorf als Feststadt“ mit anschließenden Selbstbiographien der Komponisten, „die Wiener sind oder mit Wien in Fühlung standen“. Als Autor hatte man den Musikschriftsteller Dr. Guido Bagier gewonnen, der als ehemaliger Reger-Schüler 1923 sein Reger-Buch veröffentlichte. Bagier war seit 1912 in Düsseldorf nicht nur Kritiker an den Düsseldorfer Nachrichten, sondern auch Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde am Rhein und in Westfalen, die auf Betreiben von Heinersdorff und Reger gegründet worden war. Er war 1922 nach Berlin übergesiedelt, wurde später als Pionier des Tonfilms berühmt und starb 1968 in Düsseldorf (Nachlass im Filmmuseum). Das 1. Konzert dieser neuen Gesellschaft gab Reger am 11. November 1912 mit seiner Meininger Hofkapelle im Kaisersaal.

Da also auf dem Tonkünstlerfest  „die Schüler von Schönberg und Schreker das erste Wort“ hatten, „platzten die Extreme aufeinander“. Das Düsseldorfer Publikum wandte sich mehrfach gegen „die dissonanz-schnaubenden  Musik-Revoluzzer“ und bedachte die neue 5. Sinfonie op. 46 des Rheinländers Ewald Strässer, die noch „in G-Dur“ stand,  demonstrativ mit einem „Beifallssturm“. Hermann Springer resümierte in der Zeitschrift für Musikwissenschaft: „Düsseldorf war Spannung Aktion, Kampf“.

Erst kürzlich hat sich im Zusammenhang des Tonkünstlerfestes aber herausgestellt, dass der Düsseldorfer Musikverein in diese Spannungen konkret einbezogen ist. Der Schönberg-Schüler Anton von Webern hatte selbst die Uraufführung seiner Passacaglia op. 1 für großes Orchester dirigiert. Die autographierte Partitur, aus der er dirigierte, befindet sich heute noch – bisher unbeachtet - unter den Musikalien des Musikvereins, die im Heinrich-Heine-Institut archiviert sind und durch den Katalog von Susanne Cramer ausgewiesen sind.  Bei der Webern-Gesamtausgabe der Österreichische Akademie der Wissenschaft in Wien weiß man, dass das Orchester-Material nach Wien zurückging. Die Partitur ist auch für die Weber-Sammlung  der Paul Sacher Stiftung in Basel eine wichtige neue Schaffensquelle.  Die Aufführung des  schweren Stückes, das trotz ungenügender Probezeit „recht gut ging“ und „recht warm“ aufgenommen wurde (Webern), wird noch Anlass sein, Webers Reise nach Düsseldorf, die er unter starken „Heimweh“ mit dem jüdischen Freund Paul Pisk unternahm, näher zu beleuchten.

Für den Musikverein und seinen Dirigenten Panzner waren jedoch zwei Werke von Reger von besonderer Bedeutung, die sicherlich auf ihre Veranlassung in das Festprogramm aufgenommen worden waren. Mit ihnen setzten sie einen eigenen Düsseldorfer Akzent, der auf eine intensive und persönliche Aufführungstradition von Werken Regers als Vorgeschichte zurückgeht. Es handelt sich um die posthume Uraufführung  des Klavierquintetts in c-Moll (WoO II,9) und um den 100. Psalm für gemischten Chor, Orchester und Orgel op. 106. Bereits Musikdirektor Julius Buths  (bis 1908) hatte die Aufführungen von Reger-Werken gefördert und 1908 brachte sein Nachfolger Panzner bereits aus Bremen eine Reger-Tradition aus persönlicher Bekanntschaft mit. Beide Musikdirektoren waren geschätzte Freunde Regers, der Buths die Orchesterfassung der Beethoven-Variationen op.86 widmete und Panzner die Böcklin-Tondichtung op. 128. Zeugnis für die persönlichen Verbindungen sind Postsachen Regers, bekannt sind ein gutes Dutzend an Buths und ein knappes Dutzend an Panzner.

Auch Heinersdorff stand in brieflichem Kontakt zu Reger. Dessen Postsachen wurden allerdings 2005 bei Sotheby’s veräußert. Herrn Dr. Jürgen Schaarwächter vom Max Reger Institut in Karlsruhe, wo alle bekannt gewordenen Briefe in Kopie gesammelt sind, konnte im Gegenzug zu seinen Auskünften die Kopie des Reger‘schen Kondolenzschreibens an Heinersdorff  zum Tode seines Vaters vom 3. Mai 1914 übermittelt werden, das dort noch unbekannt war. Natürlich war Reger nach Konzerten Gast in den Düsseldorfer Familien. Renée Heinersdorff  erinnerte sich aus seiner Jugend an Reger, der als Gast 1915  nach dem Konzert wie immer sehr üppig aß und trank. Seine Mutter Miretta spielte als Pianistin in den Hauskonzerten des Senatspräsidenten Dr. Hugo Lenzberg, an die sich auch Erika Ophüls erinnert. Die Tochter Anne-Marie Neumann-Lenzberg hatte noch am 28. März 1916 im Ibach-Saal von Reger begleitet sechs Lieder gesungen, Reger starb am 11. Mai. Auf dem Tonkünstlerfest sang die Sopranistin  Lieder von Jascha Horenstein, begleitet vom Komponisten, der dann 1929 Musikdirektor der Düsseldorfer  Oper wurde.

Am 21. April 1905 schrieb Reger an Buths, er sei „sehr stolz darauf mit Ihnen das Concert am 17. April gehabt zu haben“, in dem er mit Buths an zwei Klavieren die vierhändige Fassung der Beethoven Variationen op. 86 spielte. Es war die III. Kammermusik, die vom Städt. Musik-Verein veranstaltet wurde.  Auf Regers Bitte hin hatte der Klavierfabrikant Max Ibach für ihn 1906 eine Konzertreise arrangiert, wandte sich aber 1907 dagegen, seine Firma als eine Art Reger-Konzert-Agentur anzusehen. Am 22. Juni 1910 gab Reger seiner Freude Ausdruck, dass Panzner auf dem nächsten Niederrheinischen Musikfest 1911 seinen 100. Psalm aufführen wolle, „der sich ganz besonders zu Musikfesten eignet“. Auf den kammermusikalischen „Reger-Abenden“ am 5. Oktober 1910 und am 5. Oktober 1911 im Ibach-Saal saß der Komponist am Ibach-Flügel. Auch in Sinfonie-Konzerten wurden 1910-1912 durch Panzner immer wieder Werke Regers aufgeführt, zuletzt am 8. Januar 1916 die Mozart-Variationen op.132, Reger selbst spielte Klavier.

Mit seinem Klavierquintett hatte der junge Reger 1898 dem ein Jahr zuvor verstorbenen Vorbild, Johannes Brahms und seinem Klavierquintett op. 34  gehuldigt. Regers Frühwerk, als op.21 geplant, hatte sein Verlag nicht angenommen und wurde in Düsseldorf aus dem Manuskript uraufgeführt. Es erregte umso mehr Aufmerksamkeit als Reger eigentlich durch sein Klavierquintett op.64 mit seiner orchestralen Klangfülle bekannt war, das er 1903 in München uraufgeführt hatte.  Es spielte das renommierte Streichquartett von Prof. Gustav Havemann aus Berlin „mit der temperamentvoll ihren Ibach-Flügel meisternden Karin Dayas“, Ihr Vater, der amerikanische Pianist William Humphrey Dayas, war 1893 auch in Düsseldorf tätig gewesen. Havemann hatte schon 1906 auf dem Reger-Fest in Dortmund mit Reger dessen Sonate op. 84 gespielt. Das Quintett war als Abschluss des II. Kammermusik-Abends nach den modernen Werken „jetzt der geradezu demonstrative Erfolg des Festes“, es  hatte „einen Sensationserfolg“, wie die Fachpresse berichtet. Der 100. Psalm war 1908 entstanden und zum 350jährigen Jubiläum der Universität Jena, die Reger die Ehrendoktorwürde verlieh, beim Festgottesdienst in der Stadtkirche aufgeführt worden. Den ergänzenden  II. Teil der viersätzigen Chorsinfonie führte Reger 1910 in Chemnitz auf. Auf briefliche Ermunterung von Reger hin führte Panzner den 100. Psalm am 5. Juni 1911  auf dem 87. Niederrheinischen Musikfest auf. Der Psalm sei nicht leicht, „aber er geht im Tempo maestoso, sodaß alle Koloraturen (nicht Choleraturen) alle zu machen sind“, zudem werde der Chor immer von der Orgel unterstützt. 1922 spielte der Organist der evangelischen Rochus-Kirche Hubert Weisen die große Orgel von W. Sauer (Frankfurt / O.) im Kaisersaal. Ein Paukenwirbel zum Orgel-Bass anschwellend vom pp zum ff leitet die Unisono-Chorrufe  „Jauchzet“ ein. Reger forderte: „Die Hörer des Psalms müssen nachher als ‚Relief‘ an der Wand kleben; ich will, daß der Psalm eine niederschmetternde Wirkung bekommt.“ Obwohl Panzner in zwei Kürzungen auch die abschließende große Chorfuge gestrichen hatte, litt „die demonstrative Aufnahme [im Publikum] unter allgemeiner Ermüdung“ , „wegen der Hitze im Saal fehlte dem Chor etwas Temperament“, urteilte ein Rezensent.

Das Programmbuch führt für den „Presseausschuß“ nicht weniger als 13 Namen von Schriftleitern auf, die laut Musiker-Kalender auch regionale Tageszeitungen vertraten. Leider steht die Zeitungsausschnittsammlung im Stadtarchiv  wegen des schlechten Erhaltungszustandes z.Zt. nicht zur Verfügung. Für das große Aufsehen, das dieses Tonkünstlerfest in ganz Deutschland und Österreich hervorrief sorgten sieben Berichte in der musikalischen Fachpresse, von der Allgemeinen Musik-Zeitung, dem Organ des ADMV, angefangen. Mehrfach konnte aus ihnen zitiert werden. Es waren immer die Chefredakteure selbst, die zu diesem Großereignis nach Düsseldorf gekommen waren. Besonders bemerkenswert ist der Bericht von Paul Stefan in den Wiener Musikblättern des Anbruchs. Er beginnt mit einem Dank: „Die Stadt berühmt als Kunststätte , wie auch durch ihre gute, fröhliche Geselligkeit, tat für ihre zahlreichen Gäste, was sie in der Not der Zeit und der Besetzung durch fremde Truppen tun konnte. Es wurde insbesondere vornehmste Gastfreundschaft geübt. – Die Seele aller Bemühungen verkörperte sich den Festgästen in Herrn Constans Heinersdorff, der denn auch der herzliche Dank vor jedem Bericht abzustatten ist.“  Gemäß Programmbuch wurden die Mitglieder des ADMV am 1. Tag durch die Stadt Düsseldorf zu einem Imbiß in den Räumen der Gesellschaft „Verein“ eingeladen. Nach dem II. Kammerkonzert gab es ein „Malkasten-Künstlerfest im Garten“, nach der Hauptprobe des Chorkonzertes eine „Einladung von Jung-Rheinland zur Großen Internationalen Kunstausstellung“ in dazu eingerichteten Räumen des Kaufhauses Leonhard Tietz. Die Einladung der Fa. Albert Steinberg zum Tee ins Parkhotel kam ebenfalls aus dem Kreis der „Förderer und Stifter“ (Programmbuch). Dr. Gerhard Tischer (Köln) ergänzt in seiner Rheinischen Musik- und Theater-Zeitung  Einladungen der Fa. Ibach und des Kabaretts „Jungmühle“ sowie das Kartenangebot „zur großen Kunstausstellung, zum Museum und den Städtischen Sammlungen, zur Galerie [Alfred] Flechtheim und zum Zoologischen Garten“, alles auf Initiative des „unermüdlichen und opferfreudigen Vaters des Festes, Herrn Constans Heinersdorff.“

Erst wenn man die politischen Rahmenbedingungen, die Auseinandersetzungen um kompositorische Richtungen, die Biographik auch der Mitwirkenden sowie das kulturelle Umfeld in der Musikstadt Düsseldorf  näher ins Auge fasst, tritt die musikhistorische Dimension des Tonkünstlerfestes in seinen vielfältigen Perspektiven hervor, wozu auch sein  spezifischer Charakter als eines Reger-Festes gehört.

Literatur-Auswahl (chronologisch):

Allgemeiner Deutscher Musikverein, Tonkünstler-Fest. 52. Hauptversammlung Düsseldorf 3. bis 7. Juni 1922. Programmbuch, Druck von L. Schwann in Düsseldorf  (Stadtarchiv Düsseldorf;  Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Mikrofiche-Ausgabe Dresden 2007)-

Vereinigter Musiker-Kalender Hesse – Stern, 45. Jg., Berlin 1923 -

Günther Fröhlich, Dirigenten am Stadttheater Düsseldorf (1875-1945), in: Beiträge zur Musikgeschichte der Stadt Düsseldorf, hrsg. Julius Alf (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, H. 118), Köln 1977 -

Günther Weiß, Sechs unbekannte Briefe von Max Reger an den Dirigenten Karl Panzner zur Widmung des Regerschen op. 86, in: Die Musikforschung, Jg. 35, 1981

Programme der Konzerte Max Regers, Teil 2, zusammengestellt von Ingeborg Schreiber (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts 7,2), Bonn 1981 -

Rainer Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik. Zwei Jahrhunderte Musikleben in Düsseldorf. Die Chronik des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e. V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf 1818-1988,  Düsseldorf 1989 –

Dorothé Martha Weber, Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Oper in der Zeit von 1890 bis 1923 (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, H. 143), Kassel 1990 -

Die Familie Heinersdorff. Ein Beitrag zur Musikgeschichte und zum Musikleben der Stadt Düsseldorf, hrsg. Jutta Scholl, Düsseldorf 1993; darin: Erika Ophüls, Musikalische Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend in Düsseldorf  –

Susanne Cramer, Die Musikalien des Düsseldorfer Musikvereins 1801-1929. Katalog (= Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Archiv. Bibliothek. Museum, Bd.6), Stuttgart 1996 -

Irina Lucke-Karminiarz, Die Tonkünstlerversammlungen des ADMV – ein internationales Forum zeitgenössischer Musik?, in: Liszt und Europa, hrsg. Detlef Altenburg (=Weimarer Liszt-Studien, Bd. 5), Laaber 2008 -

Susanne Popp, Max Reger. Werk statt Leben, Wiesbaden 2015

Im Oktober 2017 - Prof. Dr. Klaus Wolfgang Niemöller

Kurzbiografie des Autors:

Klaus Wolfgang Niemöller studierte von 1950 bis 1955 Musikwissenschaft an der Universität Köln. Anschließend erfolgte die Promotion mit der Dissertation Nicolaus Wollick (1480–1541) und sein Musiktraktat und 1964 die Habilitation mit Untersuchungen zu Musikpflege und Musikunterricht an den deutschen Lateinschulen vom ausgehenden Mittelalter bis um 1600. 1969 wurde er zum Professor ernannt.

Von 1975 bis 1983 war Niemöller Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und von 1983 bis 1994 Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität zu Köln. Niemöller war Vorsitzender des Joseph Haydn-Instituts Köln und der Robert-Schumann-Forschungsstelle Düsseldorf sowie Präsident der Gesellschaft für Musikforschung.

Bereits seit 1976 ist Klaus Wolfgang Niemöller ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

Hauptarbeitsgebiete sind Musiktheorie und Musikpflege vom Mittelalter bis etwa um 1600, Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, deutsche Musiktraditionen in Osteuropa und interdisziplinäre Ansätze. (Quelle: Wikipedia Okt. 2017)

Bild: Niemöller, Prof. Dr. Klaus Wolfgang - em. Professor an der Universität Köln, Musikwissenschaftler