In diesem Brief (Brief Nr. 8) dankte Mendelssohn für die Einladung zum Musikfest, nimmt dankend an und legte sofort alle organisatorischen Probleme in Verbindung mit dem Programm und den Sängern auf den Tisch:

„Lieber Freund.
Ich bitte Dich in Deiner Eigenschaft als Secretair des Comites für das Musikfest den Herren, deren ehrenvolle Einladung ich erhalten habe, meinen besten Dank dafür zu sagen, und Ihnen mitzutheilen, daß ich dieselbe mit Freuden annehme und mich zum Fest in Düsseldorf einfinden werde. Doppelt dankbar bin ich, daß mir durch die freundliche Gesinnung des Comites Gelegenheit wird mein Oratorium mit solchen Massen und in solcher Vollkommenheit zu hören, wie es nur bei den Musikfesten möglich ist, und da es das erstemal ist, daß ich es selbst hören werde, so wird mir durch diese Aufführung zugleich Genuß und Belehrung bereitet werden. Den ersten Theil habe ich am 27. Februar an Simrock in Bonn abgeschickt, der die Chorstimmen sogleich fertigen lassen wird, die erste Hälfte des zweiten Theils wird nächsten Sonnabend den 12ten d. u. der Rest 8 Tage später an ihn abgehen. Ich hoffe, daß die Stimmen dann noch zeitig genug nach Düsseldorf gelangen, um überall hin versendet und einstudiert werden können. Ueber die Zeit meines Eintreffens kann ich noch nichts Gewisses festsetzen, doch denke ich, daß es mir möglich sein wird, bis zum Anfang Mai bei Euch zu sein. Es ist schlimm, daß die Wahl für den zweiten Tag noch nicht getroffen ist, und ich sehe mit gespannter Erwartung Deiner Nachricht über die Aufführung der 9ten Symphonie von Beethoven entgegen. Wenn sie gewählt wird, so bedarf es allerdings keines weiteren Gesangstückes außer dem Psalm von Haendel; jedoch ist dann auch beim ganzen Feste kein einziges nur einigermaßen brillantes Stück für die Solostimmen, da in meinem Paulus wenig Solo ist, im Haendel nicht viel, und die 9te Symphonie sehr schwer und unbequem für die Stimmen geschrieben ist. Es würde dann wohl nötig werden, ein Morgenconcert wie 1833 zu veranstalten, weil die Solosänger sonst unzufrieden vom Fest weggehen würden und am Ende das Publikum auch.
Zur Schlacht von Vittoria rathe ich durchaus nicht, es würde mir jede andre, wenn auch schon gegebene, passender erscheinen. Wenn es aber eine noch nicht gegebene sein soll, so müßte ich außer Spohrs neuester Symph. (Die Weihe der Töne), die ich jedoch nicht kenne, nichts vorzuschlagen. Was eine Ouvertüre betrifft, so höre ich, daß Schindler in Aachen die dritte (bis jetzt noch unbekannte) Ouvertüre zu Leonore von Beethoven gegeben hat, ich kenne bis jetzt nur den Clavierauszug, und sie scheint mir weniger schön als die andere, aber dennoch sehr vortrefflich, und würde in jeder Hinsicht interessant sein. Es wäre nur die Frage, ob Schindler die Stimmen hergeben wollte? Ich dächte, da Aachen eine verbündete Musikfeststadt ist, könnte man es wohl erwarten. Die zur Medea scheint mir zu diesem Fest nicht zu passen, auch die zum Idomeneo nicht. Wäre es denn nicht möglich, falls es bei der 9ten Symph. von Beethoven bleibt, am 2ten Tage zwei Symphonien zu machen, nämlich mit der 9ten Symph. den zweiten Teil des Concerts auszufüllen und zum Anfang des ersten Theiles eine Symph. von Haydn oder die von Mozart ohne Menuett zu wählen, welche sich mit den großen Massen gewiß schön machen würden und von so ganz verschiedenem Charakter sind. Von den Haydnschen würde ich in diesem Falle die aus b oder aus D dur (4/4) vorschlagen; hierfür käme dann der Händelsche Psalm, und ob noch außer den beiden Symph. und dem Psalme eine Ouvertüre gegeben werden könnte, das überlasse ich lieber dem Comite zu entscheiden, wie überhaupt diese ganze Frage. Sollte die Ouvert. von Cherubini sein, so würde ich die aus der Lotellerie portugaise oder aus Anacreon vorschlagen, ich glaube, die andern sind zu bekannt, Medea zu ernst, wenn die 9te Symph. auch gegeben wird. Ich gestehe Dir, daß es mir nicht lieb wäre, wenn der ganze zweite Tag nur mit classischen Sachen der älteren Zeit besetzt würde, daß ich gern wenigstens ein Stück eines Neueren dabei haben würde, um mit meinem Oratorium nicht in eine gar zu directe Vergleichung mit jenen großen Musikern zu kommen. Eignete sich der Psalm von Fesca nicht? Ich erinnere mich seiner nicht mehr recht; oder die Ernte (oder Jubel)-Cantate von Weber? (Sie existiert in Cöln, wo sie, wenn ich nicht irre, schon früher einmal gegeben wurde) dann wäre der zweite Tag so einzurichten, daß eine Symphonie von Haydn, Mozart oder Beethoven (aber nicht die IXte) anfinge, hierauf der Psalm oder die Cantate käme und den ersten Theil bildete, der zweite dann etwa mit der ddur Ouvert. von Seb. Bach (die Rietz gut kennt) anfing und mit dem Händel schlösse – oder endlich man könnte den zweiten Abend mit dem Händel beginnen, hierauf eine Ouvertüre von Cherubini oder die obenerwähnte von Beeth. folgen lassen, dann die Cantate oder der Psalm von Fesca und im zweiten Theil die 9te Symph. - Das gefiele mir zwar weniger, indeß schreibe ich Dir diese Vorschläge, wie sie mir eingefallen sind und kann nicht , wie Du wünschest, darüber die Verantwortlichkeit übernehmen. Es ist zu schwer, aus der Ferne und aus einem gänzlich verschiedenen Musiktreiben heraus sich mit Sicherheit die vielen Gründe für u. wider bei einer solchen Wahl zu denken und ich bitte also um die Entscheidung des Comites in allen diesen Fragen. Auch was die Solosänger betrifft, so bin ich überzeugt, daß dieser wichtige Punkt von dem Comite am besten festgesetzt werden wird. Versing u. Dumont sind gewiß höchst ausgezeichnete Stimmen u. wenn ersterer durch Studiren seiner Partie sichrer und lebendiger wird, als wir ihn voriges Jahr in Cöln hörten, so ist allerdings seine herrliche Stimme für mein Orat. namentlich wünschenswerth. Frau v. Beckerath ist die schönste Altstimme die ich kenne und die Tenorparthie von dir vorgetragen zu hören wie du so schön ein Recitativ singst, darauf würde ich mich besonders freuen; dann aber der Sopran eine Hauptsache.-Frau Köter die ich einmal gehört habe, scheint mir durchaus nicht hinreichend. Die Grabau, von der Du mir schreibst, würde gewiß gern kommen und sich, da sie eine wahre Musikfreundin und Künstlerin ist, an der Theilnahme eine große Freude machen. Die Parthien, die sie sänge, würden dann allerdings auch in den allerbesten Händen sein, denn ich wüßte keinen Sopran, der sich ihr gleichstellen könnte, namentlich im Vortrage der Recitation und ernsteren Musiken, außer der Decker, deren Stimme freilich noch weit glänzender, stärker und frischer ist. Auch würde die Grabau (nach einer vorläufigen Anfrage) außer den Reise- und Aufenthalts-Kosten kein Honorar verlangen, aber ihre Stimme ist ein Mezzo-Sopran, und so wäre dennoch die Hauptschwierigkeit nicht gehoben, da namentlich zur Beethovenschen Symph. ein sichrer hoher Sopran unentbehrlich ist. Die Grabau singt nur bis as gern, a und b berührt sie nur selten, und besonders muß für sie der Gesang nicht hoch liegen, wie er fast überall bei Beethoven thut; es wäre also freilich in jeder Hinsicht wünschenswerth, wenn die Decker käme. Indeß bin ich, wie gesagt, auch hierbei vollkommen überzeugt, das das Comite die besten Maßregeln treffen wird und sehe auch hierüber Deinen Mittheilungen und den Entscheidungen des Comites entgegen.

Für die Concertzettel und das Interessante, das Du mir darüber schreibst, danke ich Dir vielmals; gern erzählte ich Dir auch von dem hiesigen Musiktreiben und meinem Leben so manches, was Du gewiß gern hören würdest, aber der Brief ist schon ohnehin einer der längsten, die ich geschrieben und ich spare mir das Alles aufs mündliche Erzählen auf, wo es besser und leichter ist. Die Noten für Rietz habe ich heut Morgen mit der Fahrpost an Dich geschickt, ebenfalls die 4 ersten Chöre des zweiten Theils an Simrock (denn es ist Sonnabend den 12ten seit Anfang des Briefs geworden). Es bleibt mir nur noch Dich zu bitten den Deinigen allen meine herzlichsten Grüße zu sagen und sie um ein freundliches Andenken und um Erhaltung ihrer Freundschaft zu bitten; das Übrige beim Wiedersehn.“

Leipzig den 12ten März 1836
Stets
(Unterschrift ist ausgeschnitten.)