Abschied von Marieddy Rossetto

Das Ende der Saison 2018-2019 bringt dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf, dem Konzertchor der Landeshauptstadt, im 201. Jahr seines Bestehens den Abschied von der langjährigen Chordirektorin Marieddy Rossetto.

Blumen zum runden Geburtstag von Marieddy Rossetto am 2.5.2018
Rätsel: Zählen Sie die Blumen!

Da ich als Vorsitzender des Musikvereins eine äußerst intensive Zusammenarbeit mit Frau Rossetto pflegen durfte sei es mir auch gestattet, einige persönliche Worte zum Abschied zu finden und die achtzehnjährige Dekade von Marieddy Rossetto in der langen Geschichte des Musikvereins dementsprechend zu würdigen.

Als Prof. Raimund Wippermann das Amt des Chorleiters im Jahre 2000 niederlegte galt es eine neue Chorleitung zu finden. Nach einigen Probedirigaten verschiedener Kandidaten und Kandidatinnen und einem demokratischen Abstimmungsverfahren durch die Chorsänger*innen fiel die Wahl auf Marieddy Rossetto, zum damaligen Zeitpunkt Chorleiterin des Chores der Konzertgesellschaft Wuppertal und damit in der 200jährigen Geschichte zum ersten Male auf einen weibliche Chorleitung.

Eine geschichtliche Besonderheit wurde mit dieser Wahl auch deutlich: Bereits in den Jahren von 1816 bis 1818 fand eine enge Zusammenarbeit musikbegeisteter Sängerinnen und Sänger aus Düsseldorf mit dem Chor der Konzertgesellschaft in (Wuppertal-) Elberfeld und mit dessen Leiter Johannes Schornstein statt. Aus dieser Zusammenarbeit gründete sich dann im Jahr 1818 der Städtische Musikverein bzw. dessen Vorläufer. In Düsseldorf entstand so am 10. und 11. Mai 1818 unter Friedrich August Burgmüller das erste Niederrheinische Musikfest. Man darf sagen, dass mit diesem Festival das Bewusstsein der Bürger für die Verantwortung zur bürgerlichen Musikkultur geweckt und in eine neue Form gebracht wurde. So wurde mit der Wahl von Marieddy Rossetto die Zusammenarbeit der Chöre (Düsseldorf und Wuppertal) zu Beginn des 19. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert wiederbelebt.

In der Anfangszeit ihrer Tätigkeit hatte Frau Rossetto nicht nur enorme künstlerische Herausforderungen zu bewältigen. Auch der Chor brauchte seine Zeit und durchschritt mit Marieddy Rossetto eine ziemlich schwierige Entwicklungs- und Gewöhnungsphase, lernte Neuigkeiten bei den Proben zu akzeptieren, erlebte aber auch einen Lernprozess hin zur bei manchen schwierigen Akzeptanz einer weiblichen Chorleitung.

Marieddy Rossetto glücklich nach
dem Neujahrskonzert 2010
(C) Foto: Susanne Diesner

Künstlerisch geprägt war der Anfang im Jahre 2001 mit großen Herausforderungen bei der Einstudierung von Schönbergs „Gurre-Liedern“, Verdis „Requiem“ und den „Quattro pezzi sacri“ und Berlioz‘ „Grande Messe des Morts“ dem sich für Anfang 2002 Schmidts „Das Buch mit sieben Siegeln“ anschloss. Ganz sicher alles große Aufgaben für die Eingewöhnung in einen Chor mit einer festen Struktur und einer sehr selbstbewussten Sängerschaft.

Diese Zeit war sicher nicht einfach sowohl für die Leiterin als auch für den Chor. Die in dieser Zeit entstandenen Hochs- und Tiefs in der Zusammenarbeit ließen 2002 meinen Entschluss reifen für den Vorsitz des Städtischen Musikvereins zu kandidieren. Nach meiner Wahl nahm ich die Arbeit auf und hatte das Glück mit vielen verständigen und um den Chor besorgten Menschen das etwas schlingernde Schiff in kürzester Zeit wieder auf Kurs zu bringen. Schnell erhellte sich die Stimmung bei der Chorleiterin und bei den Sänger*innen, und ebenso schnell war bei ihnen die alte Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft wieder hergestellt: wir konnten zu neuen Taten aufbrechen und Marieddy Rossetto befreiter arbeiten.

Viele musikalische Höhepunkte durften wir mit Marieddy Rossetto erleben. Bei mehr als 340 Konzerten fällt die Nennung von einzelnen Konzerten schwer. Trotzdem möchte ich einige, neben den oben bereits genannten Anfängen im Jahre 2001 und 2002, beispielhaft hervorheben:

2003: SACD-Produktion der 9. Symphonie von Beethoven in Den Haag unter Jaap van Zweden, Uraufführung der „Kreitens-Passion“ von Rudi Martinus van Dyck und "Damnation de Faust" mit John Fiore, "Tristia" und "Lelio" von Berlioz in Bonns Beethovenhalle.

2004: Janacek "Msa Glagolskaja" und Schumanns „Das Paradies und die Peri“ in szenischer Aufführung zum Schumann-Fest, die 9. Symphonie in Brüssel mit Mikko Franck.

Manfred Hill, Bernhard Klee und
Marieddy Rossetto vor der
Klavierprobe
Foto: (c) Foto: Susanne Diesner

2005: Elgars „Dream of Gerontius“ mit John Fiore, Prokofiev: "Alexander Nevsky" mit Dmitrij Kitajenko oder “Ein Deutsches Requiem“ unter Leon Botstein.

2006: Trojahns „Merlin-Prolog“ als Uraufführung, die große Aida-Produktion in der LTU-Arena, Schumanns "Manfred" mit Klaus Maria Brandauer und seiner Burgtheater-Entourage

2007-2017: Elias und 8. Mahler mit John Fiore, die Mahler-Fassung der 9. Symphonie mit der Staatskapelle Weimar und Peter Ruzicka, "Israel in Ägypten" (Mendelssohn-Fassung) unter Frieder Bernius, 2. Mendelssohn mit Axel Kober, Uraufführung der 4. Symphonie (Kopernikus) von Oskar Gottlieb Blarr, "A Sea Symphony" mit Sir Roger Norrington, die „Paukenmesse“ und Mozarts "Krönungsmesse" mit Sir Neville Marriner, Verdis „Messa da Requiem“ mit Axel Kober, Beethoven op. 80 und Schubert Messe Nr. 2 mit Mario Venzago, „Ein Deutsches Requiem“ und die c-Moll-Messe mit Adam Fischer, zu Mikis Theodorakis‘ Geburtstag Auszüge aus seiner 2. und 3. Symphonie, Schumanns "Szenen aus Goethes Faust" mit Bernhard Klee und vieles mehr.

Dann kam das Jahr 2018: "200 Jahre Musikverein" – ein Festjahr mit einer Unzahl von Veranstaltungen. Im Vordergrund standen natürlich die Konzerte des Jubiläumsjahres wie „Paulus“ mit Axel Kober, Bruckners und Haydns „Te Deum“ mit Mario Venzago, Mahlers 8. Symphonie mit Adam Fischer als CD-Produktion, Haydns „Schöpfung“ mit Adam Fischer, „Die Planeten“ unter Mario Venzago und Bernsteins „Mass“, szenisch, unter John Neal Axelrod. Die Saison 2018-2019 klang mit den "Trois Nocturnes" von Debussy und einer CD-Produktion von Mahlers 2. Symphonie unter Adam Fischer aus.

In diese ganze Aufzählung muss ab dem Jahre 2004 eine weitere Aufgabe eingegliedert werden. 2004 entwickelte ich, mit Blick auf den drohenden Verlust der musikalischen Bildung in unserer Gesellschaft, eine Initiative zur Gründung eines musikalischen Bildungsprojektes in der Trägerschaft des Musikvereins. So stellten Frau Rossetto und ich dem Kulturdezernenten Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff ein Projekt zur frühen musikalischen Bildung von Grundschulkindern vor. 2006 wurde das Projekt mit dem Kulturamt realisiert, die "SingPause", eine Namensschöpfung von Frau Rossetto, war geboren. Wir beide kümmerten uns um die Durchführung und den nachhaltigen Bestand dieses Projektes. Marieddy Rossetto übernahm die künstlerische Leitung auf Honorarbasis und ich sorgte für das Projektmanagement im Ehrenamt. Die „SingPause-Düsseldorf“ wurde unter der Trägerschaft des Städtischen Musikvereins gegründet. Die Anfangs kleine Pflanze entwickelte sich zum großen Baum mit bundesweiter Wirkung: Anerkennung von allen Seiten, kein negativer Kommentar in 13 Jahren, 2017 Jugend-Kulturpreis der Sparkassen, 2018 Nominierungspreis zu „Kinder zum Olymp“ aus der Hand des Bundespräsidenten, 2019 Nominierung zum „Opus-Klassik 2019“. "SingPause-Düsseldorf" heißt heute: Frühe musikalische Bildung von 16.100 Grundschulkindern in 68 Schulen mit 641 Klassen. SingPause heißt aber auch: ca. 1.280 20 minütige SingPausen pro Woche in Düsseldorfs Schulen. 15 Städte haben das Düsseldorfer Modell bislang übernommen. 18 bis 20 Konzerte veranstalten wir in großartiger Organisation und Vorbereitung von Marieddy Rossetto jedes Jahr mit den Grundschulkindern in der Tonhalle Düsseldorf. Bis heute stemmen wir das Projekt unter Mithilfe von 48 Singleiter*innen organisatorisch alleine. Die ehrenamtliche schatzmeisterliche Betreuung liegt in den Händen unserer Sängerin Teresia Petrik.

"Kinder zum Olymp", Preisverleihung am 10.7.2018 in Berlin durch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und seiner Gattin Elke Büdenbender. Hier zusammen mit Marieddy Rossetto und Manfred Hill. Bild: Jörg Asmus Wieben/Musikverein

Lesen Sie diese Zeilen müssen Sie sich fragen: Wie ging das alles? Es ging und geht durch offenen und vertrauensvollen Umgang miteinander und durch ein gemeinsames „Brennen“ für die Sache. Es ging aber auch mit dem ganz besonderen Leistungswillen von Marieddy Rossetto und einem Temperament, welches ganz sicher ihrem Geburtsland Brasilien zuzurechnen ist. Trotz ihres Temperamentes hat sie die, leider immer stärker werdenden menschlichen und organisatorischen Unzulänglichkeiten unseres heutigen Musikbetriebes auf der Veranstalterseite im Dienste der Sache immer still ertragen: Ihre Gedanken waren und sind dem gemeinsamen Ziel untergeordnet mit dem immerwährenden Anspruch, mit den vorhandenen Mitteln das möglichst beste Ergebnis zu erreichen..

Bei diesem Temperament sind die Herausforderungen für ihre Mitstreiter enorm: Alles geschieht jetzt und sofort, jede Mail sollte noch am gleichen Tag beantwortet werden, Telefonrückrufe sind sofort zu erledigen usw. usw..

Dagegen stand aber auch für mich als Vorsitzenden eine große Beruhigung. In achtzehn Jahren kann ich rückblickend betrachtet Krankheiten und Abwesenheiten an einer Hand abzählen. Auch in körperlichen Grenzsituationen war Marieddy Rossetto immer zur Stelle. Ihr Handeln war in aller Regel richtig, die Termine machbar und ich konnte die Gewissheit haben, dass sich im künstlerischen Bereich alles gut und hochprofessionell entwickelt. Marieddy Rossettos untrügliches Gespür für das Machbare und das Unmögliche, in Sachen Empfindlich- und die Befindlichkeiten der Chorsänger*innen,  war bemerkenswert. Die Betreuung der teils professionellen Aushilfssänger*innen funktionierte ebenso wie die Zusammenarbeit mit den Korrepetitoren und den Stimmbildner*innen. Die absolut selbstständige Herstellung von "Übe-CDs" ist legendär und weder mit Zeit noch mit Zahl zu beziffern.

Abschließend kann ich zusammenfassend nur mit größter Hochachtung feststellen:

> Marieddy Rossetto hat sich um den Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf in ganz besonderer Weise verdient gemacht.

Der Chor, der Vereinsvorstand und auch ich haben ihre Entscheidung verstanden und mit Bedauern akzeptieren müssen.

Immer wieder bringe ich aber auch zum Ausdruck: Wir alle sind und besonders ich bin glücklich darüber, dass uns Marieddy Rossetto in der Arbeit mit der „SingPause-Düsseldorf“ weiterhin in vollem Umfange zur Seite stehen wird.

Eine Ära geht zu Ende. Ein neuer Anfang wird gemacht.

Sir Neville Marriner mit Chordirektorin Marieddy Rossetto,
September 2014 in der Tonhalle Düsseldorf

Von ganzem Herzen wünsche ich Marieddy Rossetto alles erdenklich Gute, stabile Gesundheit und mir weiterhin eine gute Zusammenarbeit bei der Arbeit mit unserem „gemeinsamen Kind", der „SingPause-Düsseldorf“.

Manfred Hill

-Vorsitzender-

am 20.8.2019 – 10.45 Uhr