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Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. gegr. 1818

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“…die Schumann-Partitur ist der Ort, an dem sich Mondhase und Mondfisch treffen können”

Gerade ist die Düsseldorfer Malerin und Dichterin Johanna Hansen von einem zweimonatigen Atelier-Aufenthalt in Paris zurückgekehrt. Ihr großer Facebook-Freundeskreis, zu dem ich mich auch zählen darf, hatte die Chance, die Künstlerin bei ihren Streifzügen durch DIE Kunstmetropole zu begleiten und nahezu unmittelbar an ihren bildnerischen Skizzen, an den kunstvollen Fotografien und den poetisch in textliche Eindrücke gefassten Beobachtungen und Assoziationen teilzuhaben. Es war wie eine zeitweise erlaubte Reisebegleitung einer überaus vielfältig kreativen Persönlichkeit, die nicht nur die Sehnsucht nach der nächsten Reise verstärkte, sondern auch die Lust am Entdecken scheinbar verborgener Kostbarkeiten oder zu findender Details weckte.

Meine Lust am Kommentieren wurde gebremst, weil ich spürte, dass es nicht notwendig ist, zu jedem Staunen in online gebotener Kürze eine eigene Position zu entäußern. Das langsame und mehrfach unterschiedliche Ausgangspunkte suchende Erkennen hatte ich bei der Betrachtung und Lektüre eines Buches geübt, durch das ich immer noch Johanna Hansens Phantasiereise zwischen Mond und Meer folgen darf. Ich springe bewusst in die Gegenwart, denn meine Entdeckungsreise, die die Autorin und Malerin in „Mondhase an Mondfisch“ (so ist der Kunstband übertitelt) begleitet, ist noch nicht zu Ende.

Gerne würde ich dieses wunderschöne genreübergreifende Kunstwerk den Lesern des Blogs auf der Homepage unseres Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf vorstellen, denn es hat viel mit unserer vokalen Musik und mit den Kompositionen eines ehemaligen Musikdirektors unseres über 200jährigen Vereins zu tun: Robert Schumann!

Vielleicht ergibt sich die Chance, unter unserer Regie einen Abend zu gestalten, in dem das Papier des Buches zum Klingen und Singen erweckt wird und die Autorin zu ihrer Arbeit als Malerin und die Malerin zu ihrem Schreiben befragt werden kann?

MONDHASE AN MONDFISCH - ein besonderes Kunstbuch auf singbarem Papier

Ein Liederbuch von Robert Schumann ist auch im wahrsten Sinne des Wortes die Basis für die Mal- und Dichtkunst der genreübergreifend geschätzten Künstlerin Johanna Hansen. Vermutlich waren die romantischen und daher auch oft eher leisen Töne seiner Kinderlieder ein Impuls unter mehreren für das Entstehen eines wunderschönen Kunstbuches, das mich in starker Weise zum Nach-Denken anregt.

Nach Worten suchend, die meine Lust an mehrfacher Beschäftigung mit den von Johanna Hansen in Beziehung gesetzten Kunstformen kennzeichnen, fielen mir Begriffe ein, die zufällig eine Alliteration bilden, deren musikdynamische Kurzform fff – „so laut wie möglich“ bedeutet, was auf Schumanns Lieder eher nicht zutrifft:
faszinierend
fesselnd
fordernd.

Diese Attribute erwarten ein Eintauchen in die Phantasie der Künstlerin, der zu folgen einer Dechiffrierung vielfältige Impulse verleihen kann. Die Kreativität der Düsseldorfer Künstlerin entwickelt eine Art visuelle Form der - uns Chorsängern - wohlbekannten Polyphonie, deren harmonische Bindung sich nicht aus einzelnen Stimmen sondern sich aus der Entdeckung der Beziehung zwischen Poesie, Malerei und der dazu wahrgenommenen musikalischer Struktur entwickelt. Diese Harmonie beim „Betrachten“, das zum „Erleben“ werden kann, für die eigene Interpretation zu entdecken, macht angenehme Mühe, die nach innen wirkt und großen Genuss bereiten kann.

 

MONDHASE AN MONDFISCH – könnte ein Kommunikationsangebot eines tierischen Fabelwesens an ein fabelbehaftetes Tierwesen sein. Im Spannungsfeld dieser erdachten Beziehung entfaltet sich ein Kunstwerk, das seine musikalische Einbettung durch das Übermalen und Überschreiben der Notenblätter vorschlägt, sich also der Malerei, der Literatur und der Tonkunst bedient.

Johanna Hansen bekennt, dass die ihr einst geschenkte Partitur der „Kinderszenen und anderer Klavierstücke für den Hausgebrauch“ Robert Schumanns zu dem Ort wurde, „an dem sich die beiden begegnen können, so unvorstellbar es auch sein mag“. Sie entdeckte die für sie klingenden Seiten des vergilbten alten Liederbuchs als möglichen Treffpunkt ihrer Poesie mit in den Noten verschwimmenden Portraits.

Für das eigene langGedicht findet sie später im Briefwechsel Clara und Robert Schumann Parallelen zu eigener Phantasie und fügt die Zitate als randbemerkenden Satzfragmente oder Wortimpulse hinzu.

Der MONDHASE ist eine offenbar metaphysische beladene Figur am fiktiven Ort höchster real vorstellbarer Erreichbarkeit. In einer Sage stellt der Bewohner des Erdtrabanten in einem Mörser das Elexier der Unsterblichkeit her, eine andere behauptet, dass es Reisbrei sei, der den Hunger der Welt stillen könne. Überlieferungen aus ostasiatischen Kulturen erwecken die Sehnsucht, bei Vollmond und klarem Himmel die Umrisse dieser Gestalt zu entdecken. In unserer Korrespondenz schenkte mir die Künstlerin die Vision, meine ins Irgendwo gehenden Sehnsüchte und Wünsche an den Hasen im Mond zu lenken: In einem Interview mit Regina Lehrkind für deren „Buchwerkstatt“ antwortet sie auf die Frage, ob SIE (J.H.) denn den Mondhasen sehen könne, antwortet sie lakonisch: „Natürlich, immer deutlicher – weil - ich kenne ihn ja!“ Und sie fügt hinzu: „Es ist ein tröstliches Gefühl, dass da oben jemand sitzt, der zur Unsterblichkeit verhelfen will“.

Sein fiktiver Adressat ist der MONDFISCH, ein riesiger Beherrscher auch ungeheurer Meerestiefen, der seinen Namen wahrscheinlich seinem seltenen Erscheinen an der ozeanischen Oberfläche verdankt. Dort nämlich gleicht der sich zur Seite drehende „Mola Mola“ dem Spiegelbild des von der Sonne zur Strahlenreflexion gebrachten Erdtrabanten.

Der so vielschichtigen Interpretation der Künstlerin, die bekennt, Bild und Text oftmals nacheinander und in getrennten Schaffensphasen kreiert und in Beziehung gesetzt zu haben, will ich nur wenige eigene Deutungen hinzufügen, da sowohl jedes einzelne Blatt des Buches als auch jedes poetische oder bildnerische Detail allein viele Einladungen zum Weiterdenken ausspricht…

Aber ich möchte die im „Wortschau-Verlag“ erschienene bildnerisch-literarische „Liebesgeschichte auf Notenblättern“ doch gerne vorstellen.

Im das Entstehen des Buches skizzierenden nachWort, das man auch vor der genaueren Betrachtung und Lektüre lesen kann, wird annotiert:

„Auf den Doppelseiten dieses Kunstbuches treffen sich die Lyrik Johanna Hansens, ausgewählte Zitate aus dem Briefwechsel von Robert Schumann und Clara Wieck sowie die ausdrucksstarken Bilder von Johanna Hansen zu einem einzigartigen Trialog über Menschen, die wie ferne Monde zu sein scheinen und sich dennoch immer wieder berühren und begegnen“.

Zwei ferne Monde oder der Mond und seine irdisch-ozeanische Spiegelung?

Allein diese Frage reflektiert die Chance, höchst unterschiedliche Interpretationsansätze bereits für die eigene Initialidee zu finden.

Auf den ersten Seiten des Buches korrespondieren teilweise noch kaum bemalte Notenblätter mit jenen, die durch leicht verschwimmende farbkräftig aus Umrissen wachsende Portraits nahezu komplett überdeckt werden. Manche von ihnen nehmen direkt Bezug auf den die Köpfe streifenden (Mond)Hasen.

Das langGedicht „Mondhase an Mondfisch“ okkupiert im zweiten Drittel des Buches jeweils eine der Doppelseiten und damit auch die Impulse der Kommunikation zwischen den Genres Wort und Bild. Der Partitur-Malgrund wird immer mehr zur nur noch in Ansätzen erkennbaren Grundfläche für dominant ausdrucksintensive Darstellung von Gesichtern. Trotzdem behält die Musiksymbolik ihre erinnernde Allgegenwart.

Das langGedicht verzichtet komplett auf Satzzeichen und Großschreibung, die wie Glossen oder Absatzmahnungen nebenstehenden Fragmente des Briefwechsels heben sich durch VERSALIEN manchmal vor oder auch nach dem Malen entstandenen Texten ab. Johanna Hansen spricht von einem HIN und HER im Schaffensprozess, je nachdem, ob die bildliche Phantasie oder der fiktive lyrische Dialog Impulsgeber war. Der Perspektivwechsel wurde zum auch manchmal synkopierenden Rhythmus des Schaffensprozesses, der für die Künstlerin ja ohnehin ein ähnlicher ist.

Malen wie sprechen ohne zu reden

und

Schreiben wie malen in Wörtern.

 

bekennt J.H, in dem bereits zitierten Interview mit Regina Lehrkind und erklärt diese als Synästhesie bekannte Durchdringung des Kunstprozesses:

Ich sehe Wörter  -  Ich male den Text  - Ich höre Bilder

Wer „Mondhase an Mondfisch“ betrachtet, gesehen und gehört hat, kann vielleicht ahnen, dass daraus beim Erlebenden eine genreübergreifende Polyphonie entstehen kann, deren Dynamik für jeden sehr einzigartig bleibt.