Prof. Dr. h.c.mult. Dietrich Fischer-Dieskau zum 100sten
(* 28. Mai 1925 in Berlin; † 18. Mai 2012 in Berg)
Sänger (Bariton), Dirigent, Maler, Musikschriftsteller und Rezitator.
Es ist schon etwas ganz Außergewöhnliches, wenn ein Konzertchor wie der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf von sich berichten kann, dass seine drei bedeutendsten Schallplattenproduktionen gemeinsam mit dem wohl berühmtesten deutschen Lied-, Konzert- und Opernsänger des 20. Jahrhunderts erfolgten: „Paulus“, „Elias“ und „Szenen aus Goethes Faust“. Als ich 1975 in den Chor kam, waren für den Herbst des Folgejahres die Aufnahmesitzungen des „Paulus“ in der ehemaligen Düsseldorfer Thomaskirche vorgesehen. Lange hatten die Verantwortlichen der EMI nach einem akustisch geeigneten Raum gesucht, der einerseits groß genug war um Solisten, Chor, Kinderchor und Orchester aufzunehmen, zum anderen aber auch eine gute Orgel zur Verfügung stellen konnte. Und letztlich von Hauptverkehrsstraßen weit genug entfernt sowie auch nicht durch Überflug von startenden oder landenden Maschinen des nahe gelegenen Flughafens betroffen war.
Die ersten Worte von Dietrich Fischer-Dieskau damals werde ich nie vergessen: „Herr, wer bist du?“ (Mittwoch, 27.10.1976 gegen 20:00 Uhr).
Da ist man vor Ehrfurcht fast im Boden versunken….
Die Einspielung unter der Leitung von Rafael Frühbeck de Burgos sowie den weiteren Solisten Helen Donath, Hanna Schwarz und Werner Hollweg hat in der Folge zahlreiche Preise erhalten und ist bis heute (2025) -zunächst als LP-Kassette, dann in vielfacher Kombinationen als CD- weltweit zu erhalten.
Im April 1981 folgten die „Szenen aus Goethes Faust“ von Robert Schumann, ebenso mit den Düsseldorfer Symphonikern, diesmal unter der Leitung von Bernhard Klee. Dietrich Fischer-Dieskau war Faust, übrigens zum zweiten mal nach der aus dem Jahr 1972 stammenden DECCA-Produktion unter Benjamin Britten. Noch nie hatte die Tonhalle ein derartiges Aufgebot an internationalen Stars gesehen und gehört, wie zu dieser Produktion: Edith Mathis, Norma Sharp, Kari Lövaas, Hanna Schwarz, Nicolai Gedda, Walter Berry und natürlich Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie. Für den Kinderchor konnte die EMI den Tölzer Knabenchor gewinnen! Die Jungen wurden für ihren Aufenthalt in Düsseldorf bei diversen Chormitgliedern (Gastfamilien) untergebracht. Dem Verhandlungsgeschick der EMI-Verantwortlichen unter der Führung von Dr. Helmut Storjohann war es gelungen, Dietrich Fischer-Dieskau nach seiner grade einmal 9 Jahre zurückliegenden Aufnahme aus England erneut für die Düsseldorfer Produktion verpflichten zu können. Wer das Stück kennt der weiß, wie sehr die Gestaltung des Faust im Werk von Schumann stilprägend ist. Hier einen der größten Liedsänger des Jahrhunderts hören zu können, ist und bleibt für jeden Musikliebhaber ein Traum.
In Fortsetzung der Schumann-Einspielungen wurden im Juni 1983 das „Requiem“ und das „Requiem für Mignon“ für die EMI produziert, wieder mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Bernhard Klee und erneut mit Dietrich Fischer-Dieskau neben Helen Donath, Doris Soffel und Nicolai Gedda.
Ein Jahr zuvor wurde der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf zu den Münchner Opernfestspielen 1982 in das größte Opernhaus Deutschlands, das Münchner Nationaltheater eingeladen. Auf dem Programm standen zwei konzertante Aufführungen der „Genoveva“ von Robert Schumann. Die Leitung hatte der Chef des Hauses, Wolfgang Sawallisch. Und wieder durften wir Dietrich Fischer-Dieskau begegnen, der die Partie des Siegfried übernommen hatte. In weiteren Rollen standen Wolfgang Brendel, Gabriele Benackova, Peter Schreier, Marijana Lipovsek und Kurt Moll auf der Bühne. Der für ein derart selten gespieltes Werk ganz außergewöhnliche Erfolg führte zu einer erneuten Einladung des Chores, und zwar für das Jahr 1984.
Den „Elias“ hatte der Chor bereits 1996 unter James Conlon mit dem Gürzenich-Orchester Köln für EMI aufgenommen, wieder in der Thomaskirche.
Die Titelpartie sang Andreas Schmidt, Sohn unseres langjährigen Chordirektors Prof. Hartmut Schmidt, seinerzeit auf dem Höhepunkt seiner grandiosen internationalen Karriere.
Nun also erreichte den Chor die höchst ehrenvolle Einladung, das Hauptwerk von Felix Mendelssohn Bartholdy unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch im Nationaltheater München aufzuführen. Elias: Dietrich Fischer-Dieskau! Die weiteren Solisten waren Margaret Price, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier, Kurt Moll u.a., sowie Solisten des Tölzer Knabenchores. Es spielte das Bayerische Staatsorchester (wie schon seinerzeit bei der „Genoveva“).
Gott-sei-Dank wurde die (von der Presse so bezeichnete) „Sternstunde“ professionell und digital aufgezeichnet. Die ursprünglich für ORFEO geplante Veröffentlichung „ruhte“ nach deren Insolvenz nahezu 40 Jahre unentdeckt im Archiv der Bayerischen Staatsoper, bis im Jahr 2023 die Aufnahme über das hauseigene Label (BSR Bayerische Staatsoper Recordings / Vertrieb: NAXOS) weltweit das Licht (Ohr) der Öffentlichkeit erlangen konnte. Ein akustisches Denkmal für alle Beteiligten, allen voran für Dietrich Fischer-Dieskau, der mit der Veröffentlichung dieses Elias seine Zusammenarbeit mit dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf sicherlich gekrönt haben dürftet.
Eine erste Begegnung mit dem jungen Dietrich Fischer-Dieskau gab es schon im Jahr 1951, als er am 17. und 18. März als Solist in Bachs „Matthäus-Passion“ mit dem Chor gemeinsam auf der Bühne des Robert-Schumann-Saals in Düsseldorf stand. Dirigent war der damalige GMD Heinrich Hollreiser. Und gut zwei Monate später im Zusammenhang mit dem 109. Niederrheinischen Musikfest an gleicher Stelle und ebenfalls unter Hollreiser gestaltete Fischer-Dieskau gemeinsam mit dem Chor die Düsseldorfer Erstaufführung von Paul Hindemiths „Das Unaufhörliche“. Leider sind von beiden Konzerten keine Tondokumente erhalten geblieben.
Kleinmachnow, im Mai 2025
Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus