Der uns allen vertraute Optimismus unserer Mitsängerin erlaubt ihr kein Bekenntnis zur Sorge, dass im kommenden Jahr mit der Pensionierung der Protagonisten des kulturellen Angebots von St. Margareta eine Tradition in Gefahr ist, an deren Entwicklung sie seit 2006 maßgeblich beteiligt war. Nicht ohne Stolz raunt sie mir vor Beginn der dritten – wieder ausverkauften - Vorstellung des Musicals „Miriam“ im Stiftssaal St. Margareta in Gerresheim zu, dass sie mit fast allen der ca. 100 Mitwirkenden bereits an vorherigen Inszenierungen gearbeitet ha
be und dass sich viele von ihnen schon auf die nächsten Projekte freuen. Sie hofft natürlich auf das Entstehen und auf die Präsentation weiterer Kinder- und Jugendmusicals, die bisher seit Jahren von Kantor Klaus Wallrath für die jungen Sängerinnen und Sänger der Chorschule St. Margareta und der Kantorei komponiert und mit dem bewährten Team um den ebenfalls in den Ruhestand wechselnden Chorleiter Bernhard Hüsgen einstudiert werden.
Bereits zum dritten Mal durfte ich eine beeindruckende Aufführung miterleben und mich davon überzeugen, dass das Ergebnis herausragender musischer Bildung zu einem Ereignis wird, das von hochprofessionellen Musikern (unter ihnen die Geigerin Karin Schott-Hafner und der
Klarinettist Jochen Mauderer von den Düsys) unterstützt und von der Gemeinde und der Elternschaft getragen wird.
Die große Herzlichkeit, mit der sich die mitwirkenden Kinder und Jugendlichen bei ihrem Kantor und dem Inszenierungsteam bedankten, zeigte mir, dass dem so vielseitigen Engagement unserer Sopran-Stimmführerin Friederike Betz auch in diesem Jahr ein weiterer „Lobgesang“ hinzugefügt werden muss…
MIRIAM
Ein Musical für Kinderchor und seine Solisten
Der Untertext des Titels ist im besten Sinne programmatisch für die beispielhafte musische Bildungsarbeit der Chorschule und Jungendkantorei St. Margareta in Gerresheim. Seit 2006 präsentieren die singenden und spielenden Schülerinnen jährlich ein ihnen zur Uraufführung zugedachtes Musical zu biblischen Geschichten. Ihr Chorleiter, der Gerresheimer Kantor Klaus Wallrath, komponiert für seine jungen Sängerinnen und Sänger und sorgt dafür, dass das gemeinsame Musizieren zum Event wird, das sich nicht auf eine weitgehend aus dem Hintergrund klingende Begleitung beschränkt.
Aus den Reihen der auf den Chortreppen stehenden 80 jungen Sängerinnen und Sänger treten die Darsteller der szenischen Vorgänge ins Rampenlicht, um sich nach ihrem Auftritt wieder singend in ihre Stimmgruppen einzureihen. Und so gebührt dem Chor auch das erste Lob, denn der exzellente mehrstimmige Klang des großen Vokalensembles wird dem Konzept des schon oft gewürdigten musikalischen Leitungsteams gerecht. Neben dem Komponisten, der das sensibel verstärkte Zusammenspiel der vier professionellen und auf Unterstützung der Kinder fokussierten Musiker mit der Bühne und die Sängerpodium dirigiert, haben Justyna Bokuniewicz und Bernhard Hüsgen als Chorleiter und Stimmbildner ihre intensive Vorbereitungsarbeit geleistet.
Nur so kann eine solche Sangesfreude entstehen, die aus einem sehr disziplinierten Ensemble erlebbar wird, dessen Begeisterung hoffentlich durch ein verinnerlichtes „KEEP SINGING“ vor einem „diminuendo“ oder gar „smorzando“ bewahrt wird.
Ein Musical verlangt nach einer nachvollziehbaren Handlung für deren Inszenierung auch bei „Miriam“ wieder Friederike Betz verantwortlich ist. Das Konzept der singenden Schauspieler und der die Geschichte spielend erzählenden Sänger verlangt vor und nach jedem Auftritt einen sichtbaren Bruch, der die Zeit- und Situationssprünge erlebbar macht und auch Raum für scheinbares „Extemporieren“ gestattet, durch das die jungen Künstler das von ihnen im alttestamentarischen Kontext zu sagende hinterfragen können:
„Man wird ja wohl noch Fragen stellen können, ohne alles in Frage zu stellen“.
Zu diesem Satz, der die klassische Rollenverteilung und die streng hierarchische Linearität der Dogmatik kritisiert, haben – so verstehe ich das – sich die jungen Menschen das Recht des Zweifels genommen. Wenn Emily Wang, die Darstellerin der Titelheldin, zur Verteidigung ihrer Rolle sagt, dass sie stolz darauf sei, eine starke Frau spielen zu dürfen, an denen es im Alten Testament doch sehr mangele, findet darin ein Selbstbewusstsein seinen Ausdruck, das der kreativen szenischen Interpretation der Heiligen Schrift guttut und deshalb auch das Musical als zeitgemäße Umsetzung unserer kulturellen Wurzeln mehr als rechtfertigt.
Friederike Betz, eine erfahrene und sehr vielfältig professionell tätige singende, tanzende, regieführende und choreografierende Lehrerin und Künstlerin, kann ohne Übertreibung behaupten, mit nahezu allen Mitwirkenden schon auf vielfältige Weise gearbeitet zu haben – so wie ihre in St. Margareta engagierten Mitstreiter.
Klaus Wallrath (2.v.r) hat in diesem Jahr die biblischen Geschwister Miriam, Moses und Aaron in den Mittelpunkt der Musical-Handlung gestellt. Ihre im Alten Testament und damit auch in der Thora verewigte Geschichte, die teilweise auch im Koran Erwähnung findet, ist nicht unwichtig für Debatten über die drei monotheistischen Religionen. Das Musical beginnt – eingeleitet durch einen sich aus Klezmer-Motiven entwickelnden Drive – mit dem hebräischen Gotteslob: “, Schma Jisrael adonai elohenu – adonai echad“ – „Höre, Israel! Der Herr, unser Gott ist der Herr allein“. Das Gebet fixiert die Ein-Einzigkeit des Schöpfers und seine Allmächtigkeit.
In die von Bernadette Faber gestaltete Wüstenszene kommen die Jüngsten der Sänger und „spielen“ ebenso sparsam wie überzeugend Wind und Wetter, Hunger und Müdigkeit, Verzweiflung und Hoffnung und geben als „Volk Israel“ jene heterogene Bezugsebenen, in denen sich die Konflikte der prophetischen Geschwister entwickeln. Lahav (Aimo Hüsgen) ist der Erzähler, dem die Aufgabe zukommt, an Geschehenes und Prophetisches zu erinnern und die neuen Situationen anzukündigen, zu denen sich dann Aaron (Charlotte Balgheim), Moses (Sina Boucher) und Mirjam sowie weitere namentlich herausgehobene Hebräer verhalten. Alle Rollen finden eine überzeugende Umsetzung, denn ihre Darsteller haben verstanden, dass auch das gespielte Zuhören, Reagieren und wortlose Kommentieren wichtig ist. Ihr gutes und sensibel verstärktes Sprechen würde an mangelnder Aufmerksamkeit oder übertriebener individueller Spielfreude der Umgebung an Wirkung verlieren. Bei dieser Aufführung aber scheint jeder zu wissen, welche Aufgabe dem einzelnen bei einem so großen Projekt zukommt, ob auf dem Chorpodium, im Hintergrund der Szene oder beim Auftritt. Und das ist bemerkenswert und belegt die weiterreichenden Möglichkeiten einer so nachhaltigen Erkenntnis.
In der Bibel und der Thora wird Miriam ein großer Anteil an der Rettung Moses‘ aus dem Nil zugeschrieben. Sie hatte heimlich beobachtet, wie die Tochter des Pharaos den Korb mit dem ausgesetzten Baby aus dem Wasser barg und überzeugte die ägyptische Prinzessin, dem hebräischen Kind eine Amme aus dem in der Fremde gefangenen Volk Israel zu gestatten. Sie schlug dazu die leibliche Mutter des Propheten und späteren Empfängers der Gesetzestafeln vor und sicherte damit dessen biblische Bestimmung. In dem balladesken Chor „Still und ruhig floss der Nil“ wird diese Geschichte als der Beginn der innigen Geschwisterbeziehung lebendig.
Im Mittelpunkt der chorischen Musicals steht auch die Rettung des Volkes Israel durch die göttliche Teilung des Roten Meeres, durch dessen trockene Gasse Miriam als eine der ersten im Gottvertrauen jubelnd, trommelnd und tanzend geht und so zum vorwärtsdrängenden Beispiel der zunächst Zagenden wird: „Gib mir Kraft wie Miriam zu werden“.
Im dramatischen Eingangsdialog in der Wüste werden Miriams und Aarons Zweifel der alleinigen Bestimmung Moses‘ als Gottes auserwähltem Kontaktmenschen deutlich, als in dem klagenden Duett: „Redet der Herr durch Mose allein? Redet er nicht auch durch dich und mich?“ Eifersucht und Zweifel an der Prophezeiung offenbar werden. Das Erstaunen der in der Wüste auf Rettung und Erlösung Wartenden über die Vermutung, dass Miriams Krankheit und Tod eine berechtigte Strafe für ihr Aufbegehren gegen die göttliche Bevorzugung des Bruders gewesen sein könnte, gipfelt in dem einfachen Satz: „Miriam war ganz anders, und das hat sie besonders gemacht …“ Eine gute Aufgabe zum Weiterdenken!
Der große Chor hat in diesem Musical angemessene und herausfordernde Aufgaben, ob beim wertenden und dankbaren Kommentieren der Szenen oder in jenen religiösen Bekenntnissen, die sich im Alten Testament und der Thora in den gemeinsamen Wurzeln des Juden- und Christentums zeigen.
Wenn im Finale „Mitten im Leben“ dem Herrn das Versprechen gegeben wird: „Wenn mir einmal die Worte ausgeh’n, singe ich Dein Lied“, so steckt darin auch eine Menge Hoffnung, die auch für junge Menschen wieder an Orientierungskraft gewinnt. Gerade heute fehlen vielen oftmals Worte, die eine mangelnden Zuversicht braucht. Gemeinsames Singen und Beten könnte jene Kraft verstärken helfen, die zum Kampf um Vernunft und Frieden gebraucht wird. Es ist eine gute Botschaft, mit der die begeisterten Zuschauer, denen so manches Lied noch angenehm im Ohr klingt, verabschiedet werden.
(Beitragsbild: Friederieke Betz - Photo credit: Karl-Hans Möller)