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Mörderjahr Düsseldorf 1929 – Das neue Buch von Christa Holtei

Christa Holtei legt unter dem Titel „Mörderjahr. Düsseldorf 1929“ einen neuen, dritten Kriminalroman mit stadtgeschichtlichem Hintergrund vor. Die Bände „Tödliche Kaisertreue“ und „Sommer ohne Kaiserwetter“, die zum einen Napoleons Besuch in Düsseldorf 1811 und zum anderen die „kleine Weltausstellung“ 1902 zum Thema hatten, überreichte die Autorin den Gewinnern der heiteren musikgeschichtlichen Kreuzworträtsel, die Dr. Karl Hans Möller zur Freude der Leser für die neue Chorszene entwarf.

Ein neuer Epochenroman über Düsseldorf

 

In Christa Holteis neuem Roman „Mörderjahr“ begleiten wir drei unterschiedliche und dennoch gleiche Mädchen im Jahre 1929 auf ihrem Weg frei von allen Frivolitäten im Tango - Takt oder Charleston Rhythmus durch Düsseldorf. Unterschiedlich und damit repräsentativ für die Vielgestalt des deutschen Bürgertums dieser Zeit ist ihre Herkunft. Eine stammt aus einer selbstbewussten, integrierten jüdischen Familie, die zweite zählt zum Besitzbürgertum, dem nach Krieg und Inflation nicht als das Wohn- und Geschäftshaus geblieben ist. Die dritte schließlich ist Tochter einer Kriegerwitwe. Gleich sind sie, weil sie zur Schicht der Angestellten zählen, deren Dasein wie Siegfried Kracauer 1929 beobachtete, mehr und mehr ein einheitliches Gepräge annimmt. Erwartet uns etwa ein moralisches Lehrstück im Stile Wilhelm Buschs, in dem das Schicksal von „Mädchen, die pfeifen und Hähnen, die krähen,“ denen man beizeiten die Hälse umdrehen soll, abschreckend dargestellt wird?

Nein, wir dürfen Lilli, Gerti und Elfi auf dem Weg zur Selbstbestimmung folgen. Es beginnt mit der modischen Verkürzung der Vornamen, die bei Gertruds emanzipierter, dabei aber kaisertreuen, jüdischen Familie Mandelbaum auf völliges Unverständnis stößt. „Ich möchte nicht, dass Du irgendjemand anderes bist, Kind“, über Elfis Umzug in die eigene Wohnung, um der Bevormundung der Eltern zu entgehen, die in dem Versuch gipfelt, sie mit einem Finanzbeamten zu verkuppeln. Umgekehrt wird Lilli, der dritten Freundin, bewusst, dass sie ihrer alleinstehenden Mutter beim Aufbau einer neuen Existenz nicht im Wege stehen darf, und lässt sich ins Dachgeschoss ausquartieren. 

Diese drei Lebensabschnitte vermitteln uns ein Stück Sozialgeschichte der Weimarer Republik mit tief nachempfundenem Düsseldorfer Lebensgefühl. Wie man es bei Christa Holtei gewohnt ist, lernen wir die angesagtesten Düsseldorfer Cafés und Tanzlokale kennen, und begleiten mit dem Finger auf dem abgedruckten Stadtplan von 1929 die jungen Damen auf ihren Wegen zur Arbeit, zu Verabredungen und zum Einkaufsbummel durch die Stadt. 

Aber selbst wenn man automatisch die Schlagertexte, die den Kapiteln vorangestellt sind, mitsummt: „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt´“ – trügt diese Unbeschwertheit: Im zweiten Handlungsstrang fiebert der Leser mit bei der Suche nach dem Serienmörder Peter Kürten. Dieser spektakuläre, weil über die Grenzen Düsseldorfs bekannte Kriminalfall, bietet der Autorin die Gelegenheit von der zeitgenössischen Polizeiarbeit, in die sogar Düsseldorfs Theaterchefin Louise Dumont eingebunden wird, zu erzählen. Der Teil--  und Anteilnahme der Bevölkerung bei der Suche nach Opfern und Täter im Jahre 1929 kann der Leser Beispiele für polizeiarbeitsbehindernde Sensationsgier, aber auch für bewegende Hilfeleistung aus seiner aktuellen Lebenswelt an die Seite stellen.

Aber wird man dem Jahr 1929 mit den Lebensentwürfen dreier junger Frauen vor dem Hintergrund eines bislang nie da gewesenen Kriminalfalls gerecht? Immerhin riss der als „schwarzer Freitag“ in die Geschichte eingegangene 24. Oktober 1929 an der New Yorker Börse die europäische und vor allen die deutsche Wirtschaft in den Abgrund. Die „Erwerbslosenzeit“ wuchs sich zu einem Trauma der Zwischenkriegsgeneration aus, das bis in die Gegenwart wirkt. Die Abstiegsängste machten das Klein - und mittlere Bürgertum, das die Inflation von 1923 gerade mühselig überwunden hatte, anfällig für die Parolen der NSDAP. 

Diese historische Atmosphäre in einem Roman auszudrücken, wenn man als Autorin mit einer Distanz von fast 100 Jahren auf das Geschehen blickt, erfordert Fingerspitzengefühl, zumal da die Leser ihre Zeitgenossen sind und die historischen Zusammenhänge ebenso durchschauen. Die zwischen Vorsicht und Übermut tastende Suche der drei jungen Frauen nach einem selbstbestimmten kleinen Glück vor dem Hintergrund einer Verbrechensserie, die jedes Unabhängigkeitsstreben dem Vorwurf des Leichtsinns aussetzt, gehört zu den überzeugendsten Handlungssträngen des Romans. 

Im Mittelpunkt der dritten Szenenfolge steht die Urmutter der Düsseldorfer Galeristen, Johanna Ey. Sie trotzt den schweren Zeiten, in denen ihr wegen hoher Mietschulden der Verlust von Galerie und Wohnung droht, mit Ihrem Motto: „Leben heißt kämpfen“ und plant, die Bilder ihrer Künstler mit dem Handwagen zu den potentiellen Kunden zu fahren, weil die Konfrontation mit dem Kunstwerk eine Kaufentscheidung auslösen werde. 

Peter Hüttenberger konstatiert in seiner Geschichte der Stadt Düsseldorf für das Jahr 1929 einen Prozess der Massenverelendung durch Arbeitslosigkeit und Anstieg der Lebenshaltungskosten, der auch die sog. besseren Schichten beunruhigte, weil eben auch Beamten der höheren Besoldungsgruppen die Gehälter gekürzt wurden, um die wachsenden Wohlfahrtskosten tragen zu können. Zeugt da die Idee der Künstlermutter Ey nicht von einer Naivität, die den Leser schmunzeln lässt? Handelt Johanna Ey tatsächlich so wirklichkeitsfremd? Im Vertrauen auf Christa Holteis gründliche Recherche müssen wir es staunend als wahrscheinlich annehmen. 

Die Hoffnung unserer drei Damen, „dass nach dem (Wahl-) Sonntag alles wieder in normale Bahnen käme und vor allem, dass niemand sie (die NSDAP) gewählt hätte“, war, wie der aufgeklärte Leser weiß, vergeblich. Aber jedes Überlegenheitsgefühl ist angesichts der Stimmenzuwächse rechtspopulistischer Parteien in Europa fehl am Platz. Nützt historische Aufklärung etwa gar nichts? 

Christa Holteis Buch vermittelt lebendig welthaltige Lokalgeschichte und gibt vielfältige Gesprächsimpulse besonders zur Beurteilung unserer Gegenwart.

Beitragsbild: Der Umschlag des Buches