Lebenslauf
Robert Schumann

Zum im vorgenannten Eintrag geschilderten Ereignis findet der Leser nachfolgend in zwei Einträgen einen aufschlussreichen Aufsatz von Dr. Thomas Synofzik, dem Direktor des Robert-Schumann-Hauses Zwickau:

"Am 9. Dezember 1842 erhielt Robert Schumann als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik von seinem Stamm-Mitarbeiter Eduard Krüger einen Artikel, der „Die beiden Bach’schen Passionen“, diejenige nach Matthäus und diejenige nach Johannes, einer vergleichenden Analyse unterzog. Der umfangreiche, von Schumann in Fortsetzungen auf insgesamt sieben Hefte verteilte, Aufsatz hatte als ein Hauptziel, „auf manche unbeachtete Vorzüge der Johannispassion hinzuweisen“.

1829 hatte Mendelssohn die Matthäus-Passion in Berlin zur ersten öffentlichen Wiederaufführung im 19. Jahrhundert gebracht; die Johannes-Passion wird erst 1833 von Rungenhagen erstmals in der Berliner Singakademie aufgeführt, Mendelssohn hat sich ihr nie gewidmet.

Das Urteil über die Berliner Erstaufführung war verhalten; der Musikforscher Carl von Winterfeld berichtete nach Breslau, die Johannes-Passion „kann auf das größere Publikum nie den Eindruck machen wie die andere [nach Matthäus], weil ... der rasche, augenblickliche Eindruck, das Effektvolle der andern ihr fehlt. Den ersten Chor selbstthätig, mit Verstand zu hören, möchte den Meisten schwer fallen“.

Bereits im Mai 1842 war Schumann mit der kleineren der beiden Bachschen Passionen bekannt geworden, offenbar durch Partiturlektüre. Im Oktober desselben Jahres vergleicht er in einer Zeitungsbesprechung einen Satz aus Carl Loewes Oratorium Johann Huß mit dem Kreuzige-Chor aus Bachs Johannes-Passion.

Als Schumann im Januar 1848 in Dresden einen eigenen gemischten Chorgesangverein gegründet hatte, entwickelten sich Choräle und Chöre aus der Johannes-Passion zu einem Repertoireschwerpunkt. Einzelne Chöre werden in Dresden mehrfach bei öffentlichen oder halböffentlichen Konzerten aufgeführt, offenbar nur mit Klavierbegleitung.

Am 2. April 1849 schreibt er an den Hamburger Musikdirektor Georg Dietrich Otten: „Kennen Sie die Bachsche Johannis-Passion, die sogenannte kleine? Gewiß! Aber finden Sie sie nicht um Vieles kühner, gewaltiger, poetischer, als die nach d. Evang. Matthäus? Mir scheint die letztere um 5-6 Jahre früher geschrieben, nicht frei von Breiten, und dann überhaupt über das Maß lang – die andere dagegen wie gedrängt, wie durchaus genial, namentlich in den Chören, und von welcher Kunst! – Käme doch über solche Sachen die Welt ins Klare!“ Auch wenn bis heute keine eindeutige Klarheit über die Frage besteht, ob Bach seine Matthäus-Passion 1727 oder 1729 erstmals aufgeführt hat, so wissen wir doch heute, daß Schumanns Vermutung über die Reihenfolge falsch ist: Die Johannes-Passion ist mindestens drei Jahre älter als die Matthäus-Passion."

Bild: Johann Sebastian Bach