Schallarchiv
Beethoven/Mahler: Symphonie Nr. 9

„Stets Gewohntes nur magst Du versteh‘n; doch was noch nie sich traf, danach trachtet mein Sinn!“ (Wagner „Walküre“, II. Akt, Wotan zu Fricka).

100mal schon hat der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf bei Aufführungen der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven mitgewirkt, sei es im heimatlichen Düsseldorf oder an prominentester Stelle im europäischen Ausland. Die 101te Aufführung aber sollte so ganz anders werden, als alle Vorgänger. Nicht dass hier der Anlass des 190-jährigen Bestehens gemeint ist, vielmehr geht es um die von Gustav Mahler erarbeitete Bearbeitung, die Beethovens Partitur den deutlich veränderten Orchestermöglichkeiten neu eröffnete. Gustav Mahler hatte 1901 seine Fassung der letzten Beethoven-Symphonie im Wiener Musikverein selber dirigiert, und beim Publikum einen Riesenerfolg, bei Musikwissenschaftlern und Kritikern jedoch heftigste Ablehnung eingesteckt. Mahler, sicher der markanteste Symphoniker auf der Schwelle zur Neuzeit, hatte als etablierter Komponist sich das Recht herausgenommen, die interpretatorischen Klangfarbenspektren des modernen Orchesters dem wohl bekanntesten Werk Beethovens zu Gute kommen zu lassen. Vergleichbar aufregend wie schlüssig ist es nun, wenn Peter Ruzicka, ebenfalls einer der etablierten Komponisten und Musikwissenschaftler unserer Zeit, als Dirigent dieses Sonderkonzertes sich in die Reihe Beethoven – Mahler – Ruzicka eingliedert. Dabei hatte sich der Chor an erhebliche Unterschiede zur traditionellen Aufführungspraxis zu gewöhnen: zum Beispiel an ein Fernorchester, das Mahler –logisch, weil von Beethoven so komponiert- beim Marsch im 4. Satz konsequenterweise einsetzte. Nichts aber ist schwieriger, als „Altgewohntes“ auszutauschen; jeder, der umstudiert, weiß, dass Neuerlerntes oft leichter ins Ohr und in die Stimme geht. Hinzu kam, dass es sich beim Konzert vom 12. September 2008 nicht um ein Programm im Rahmen der obligatorischen Symphoniekonzerte handelte, sondern um ein Sonderkonzert in mehrfacher Hinsicht: nicht die Düsseldorfer Symphoniker spielten, sondern die alt-ehrwürdige Staatskapelle Weimar war Gast in der Tonhalle. Logistisch bedeutete das, dass nur eine kurze „Verständigungsprobe“ vor dem Konzert mit Dirigent, Solisten und Orchester möglich war. Schon oft war in der Vergangenheit die Flexibilität des Musikvereins gefragt und gewürdigt worden. Hier nun bekam dieser Anspruch eine ganz besondere Dimension: nicht nur ein vermeintlich bekanntes Werk in neuem Gewand, sondern auch ein musikalischer Partner, der sich ja seinerseits auf die räumlichen wie akustischen Gegebenheiten der Tonhalle in Düsseldorf einstellen musste.
Wie hatte Bernhard Klee gesagt: „Ich wollte Euch immer fördern durch Fordern!“ Wie recht er doch hatte, und das Ergebnis spricht in beeindruckender Weise für sich; heute wie damals!


Peter Ruzicka
Die Weimarhalle, Heimat der Staatskapelle Weimar