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Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. gegr. 1818

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„Dann spielen wir in einer anderen Liga – das allein ist es wert“ – Interview mit den neuen Leitern des Musikvereins

Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht? Seit dem Frühling 2020 steht das Chorsingen auf einem vorderen Platz in der Liste der gefährlichsten Hobbys der Welt. Der erzwungene künstlerische Shutdown traf den Konzertchor in einer Phase, in der nach dem 200. Gründungsjubiläum des Musikvereins eine lange geplante Neuorientierung in der künstlerischen Leitung und im Vereinsvorsitz vorbereitet werden musste. Die mit großer Mehrheit gefundenen und verpflichteten neuen „Chefs“ Professor Dennis Hansel-Dinar und Stefan Schwartze haben im folgenden Interview davon Zeugnis abgelegt, dass keine unvorhergesehenen Umstände ihre Leidenschaft ausbremsen könnten.

Interview mit den neuen Leitern des Musikvereins

Wir sind mitten in einer Pandemie, die das alltägliche Leben in jeder Hinsicht veränderte und dabei besonders hart die Musik trifft. Können Sie in dieser Situation irgendwie trotzdem jenen Optimismus finden, aus dem man als neuer Leiter Kraft und Begeisterung schöpfen kann?

Dennis Hansel-Dinar: Wenn ich den Leuten sage, dass ich die Leitung des Musikvereins übernommen habe, höre ich oft: „Das ist ja wohl der schlechteste Zeitpunkt in den letzten 50 Jahren, einen so großen Chor zu übernehmen“. Wie probt man in dieser Situation? Und wie plant man eine Aufführung mit so vielen Sängerinnen und Sängern? Es ist zwar eine Riesenherausforderung, aber ich finde, dass sich aus dieser Situation nicht nur Probleme, sondern auch Möglichkeiten ergeben. Wenn man gefordert ist, alles einmal neu zu denken, dann tut man es auch, und probiert neue Wege aus. Allein die Tatsache, dass wir nicht mit allen Choristen gleichzeitig proben dürfen, ist zwar auf eine Art „unpraktisch“, weil wir viel mehr Proben haben müssen, aber andererseits wird jeder einzelne Sänger zu mehr Selbstständigkeit geführt…

Stefan Schwartze: …man kann sich nicht mehr in seiner Stimmgruppe verstecken oder „mitschwimmen“.

DHD: Ich bin sicher, dass sich dadurch manche Qualitäten entwickeln werden, die bislang nicht genutzt wurden.

StS: Als ich mich entschieden habe, diese Herausforderung anzunehmen, und als Nachfolger von Manfred Hill anzutreten, war die Pandemie noch kein Thema. Aber wir haben im November letzten Jahres schon mit Mitgliedern des Musikvereins in drei Arbeitsgruppe verschiedene perspektivische Themen bearbeitet.  Manche Ideen, die dabei entstanden, wären zu der Zeit, - wenn man damit in die Öffentlichkeit gegangen wäre - für den einen oder anderen sicherlich schwer verdaulich gewesen. Wenn man das Ganze allerdings im Licht von Corona betrachtet, ist es alternativlos: In kleinen Gruppen zu singen, statt nur im großen Chor, eher kammermusikalisch kleinere Stücke zu proben. … Das sind alles Dinge, die wir traditionell bisher nicht gemacht haben:  Unser Profil bestimmten Werke in großer Besetzung mit großen Orchestern. Ich sehe in der auch durch Corona bedingten Neuorientierung eine große Chance, wenn wir die Dinge mit Weitblick, Mut und Optimismus angehen. Weitblick erlaubt uns, Bestehendes und Tradiertes kritisch zu hinterfragen. Mut lässt uns neue Ansätze erproben und Optimismus kann uns beflügeln und lässt uns so auch längere Durststrecken überstehen. Für mich persönlich bedeutet das zum Beispiel, dass ich den Probenplan komplett vom Kopf auf die Füße stellen muss und in jeder Hinsicht kreativ sein muss. Aber gerade das macht auch Spaß.

Jemand aus dem im Juni gewählten neuen Vorstand hat diese Zeit einen „historischen Moment“ genannt. Können Sie sich dieser Aussage anschließen?

DHD: Die letzten Monate bedeuten für den Musikverein einen großen Einschnitt, und der war mit Sicherheit auch traumatisch: Konzerte absagen zu müssen, auf die man sich schon eigentlich seit langer Zeit vorbereitet hat – und die plötzlich nicht stattfinden dürfen. Das kann man auch als historisch bezeichnen: Chorsingen ist zum tödlichsten Hobby der Welt geworden. Hätte das jemand jemals gedacht?

StS: Bei der letzten Mitgliederversammlung definitiv: eine Ära ist zu Ende gegangen. Die Ära von Manfred Hill. Er war während fast eines Viertels der Existenzzeit des Musikvereins als Sänger und davon nahezu die Hälfte in führender Rolle als Vorstandsvorsitzender aktiv.


„Wer…  sich darüber definiert, dass er in die Fußstapfen eines anderen tritt, kann keine Spuren hinterlassen“ - Stefan Schwartze


Zwei prägende Persönlichkeiten des Musikvereins haben ihre Ämter fast gleichzeitig niedergelegt. Marieddy Rossetto war seit 2001 verantwortlich für die künstlerische Leitung des Chores, Manfred Hill war 18 Jahre lang Vorsitzender und zuvor Vorstandsmitglied des Vereins. Wie groß ist die Herausforderung, die sich lange bewährende Arbeit Ihrer VorgängerIn und damit die Traditionen des Ensembles weiterzuführen?

DHD: Ich stehe jetzt in der Verantwortung für den Musikverein, der als Chor ein starkes Niveau erreicht hat. Die Jubiläumssaison 2019/20 war mit einer beeindruckenden Anzahl großer Konzerte und schweren Stücken angefüllt, und im letzten Jahr wurde die Aufnahme von Mahlers „3. Symphonie“ mit dem OPUS Klassik prämiert, daran hatte auch der Musikverein seinen Anteil. Wir sehen, wo der Chor unter der Leitung meiner Vorgängerin hingekommen ist, das ist jetzt mein Ausgangspunkt, um zu überlegen, wohin wir jetzt von dort aus gehen. Meine Herausforderung ist gerade, zu analysieren und zu ordnen, welche der gewachsenen Qualitäten mit meiner Vorstellung übereinstimmen, und welche ich in andere Richtung entwickeln möchte.

StS: Wer ein Amt übernimmt und sich darüber definiert, dass er in die Fußstapfen eines anderen tritt, kann keine eigenen Spuren hinterlassen. Es geht darum, die Dinge, die noch passen und funktionieren, weiter zu führen. Bei Dingen, die jetzt nicht mehr passen, geht es darum, die richtigen neuen Akzente zu setzen. Wenn wir so, wie bisher weiter machen wollten, könnten wir erst wieder proben, wenn die Coronapandemie vorbei ist. Bis dahin wäre der Musikverein nicht mehr existent. Also müssen wir jetzt andere Ansätze finden. Das waren z.B. die sommerliche Open-Air-Proben. Da ging es vielleicht zunächst einmal um das Singen in höchstmöglicher Qualität, sondern eher darum, überhaupt wieder zusammenzukommen, sich gemeinsam mit Musik zu beschäftigen, aus der langen erzwungenen Schweigsamkeit wieder herauszukommen. Zugleich war aber auch das Proben unter widrigen Umständen auch ein, wenn auch hartes, aber effektives Stimm- und Chortraining.

Ab September werden wir jetzt mit einem ernsthaften Anspruch intensiv in kleineren Gruppen proben. Da sind dann alle Chormitglieder gefordert., Da kann sich keiner zurücklehnen und sagen: „Wir sind immer schon so gewesen, dass wir erst 5 vor 12 auf die Zielgerade gekommen sind, und dann erst haben wir wirklich Gas gegeben“. Nein, das müssen wir jetzt ändern! Da müssen wir deutlich früher dran sein, weil wir die Zeit dafür gar nicht mehr haben. Das sind Beispiele, wo jeder einzelne gefordert ist, wo wir uns alle ändern müssen. Ich bin mir aber sicher, dass wir das können und dass es uns gelingt.

Prof. Dennis Hansel-Dinar während der ersten Probe im Hentrich-Saal

Welche neuen Wege versuchen Sie zu finden sowohl kurzfristig - angepasst an die Coronazeit - als auch für in die weitere Zukunft.  Welche ungenutzten Potenziale hat der Chor?

DHD: Für mich sind jetzt die nächsten Monate erst einmal die des Kennenlernens. Ich glaube nicht, dass wir uns gegenseitig tatsächlich schon kennen. Wir haben ein Projekt gemeinsam durchgeführt, das war ganz erfolgreich, das hat auch Spaß gemacht, aber für mich ist jetzt in den nächsten Monaten ganz wichtig erst einmal zu sehen: Wer ist der Musikverein, wie ist der Musikverein, welche Strömungen und Vorstellungsrichtungen gibt es. Ich kenne jetzt noch nicht genau die Punkte, die ich ändern muss. Ich habe ein Ziel, ich weiß, wo ich den Chor klanglich hinbekommen möchte. Es gibt bestimmte Klangaspekte, die mit der Stimmbehandlung zu tun haben, und es gibt andere, die mit dem Hören zu tun haben. Nach dieser Riesenpause ist mein Ziel aber erst einmal, wieder das zu tun, was so ein großer Chor eigentlich tut: wieder gemeinsam zu musizieren. Dabei werden wir uns schon gegenseitig kennenlernen und in der gemeinsamen Arbeit in einen Dialog treten. Wir haben die Probenarbeit zunächst in vierstimmigen Chorgruppen angelegt. Wer weiß, wie das funktioniert? Wir werden das jetzt in den nächsten Wochen feststellen, und daraus entwickeln wir dann die nächsten Schritte. Das fordert sehr viel Eigenständigkeit der einzelnen Sängerinnen und Sänger, und das ist für mich sowieso ein wesentlicher Punkt – die Eigenständigkeit ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man als großer Chor trotzdem beweglich ist und Qualität hat. Man verlässt sich nicht auf den Nachbarn, sondern jeder Einzelne kennt seine Stärken und Schwächen, und bringt sich optimal in den Gesamtklang ein.

Herr Schwartze, welche Erfahrungen und Techniken können Sie nach einer Karriere in der „For-Profit-Welt“ in Ihre neue Aufgabe bei einer gemeinnützigen Organisation übernehmen?

StS: Es gibt sicherlich Unterschiede zwischen Arbeiten in einem Wirtschaftsunternehmen und im Musikverein. Das ist allein schon durch den wirtschaftlichen Zweck begründet. Zunächst ist die Arbeit die Voraussetzung dafür, dass ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Aber wenn ich meine Arbeit so verstehe, dass ich etwas bewegen und erreichen will, dann verschafft es mir auch Befriedigung und Selbstbestätigung. Dies sind für mich die eigentlichen Motivatoren. Und die treffen für eine Tätigkeit im Musikverein gleichermaßen zu. Ich bin davon überzeugt, dass die Parallelitäten zwischen einer Tätigkeit für ein Wirtschaftsunternehmen und einer gemeinnützigen Organisation deutlich überwiegen, denn Unternehmen bestehen am Ende des Tages auch nur aus Menschen, genauso wie beim Musikverein oder bei jeder anderen Non-Profit-Organisation. Und Menschen anzuspornen, Veränderungen aktiv anzugehen und gestaltend weiter zu entwickeln und besser zu werden, ist von den Mechanismen her absolut identisch. Wenn ich Veränderungen bewirken will, dann heißt das Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation, weil es nur dadurch gelingen kann, jeden einzelnen auch irgendwo mitzunehmen und zu aktivieren.


„…meine Person singt – drinnen sowieso immer“ - Professor Dennis Hansel-Dinar


Professor Hansel-Dinar Sie sind ein anerkannter Chorleiter, warum finden Sie trotzdem auch Vergnügen in Zusammenarbeit mit Amateurchören?

DHD: Das Vergnügen habe ich nie verloren! Ich habe mein ganzes Leben lang mit Amateuren gearbeitet. Ich habe wohl auch professionelle Produktionen geleitet, aber die Arbeit mit Amateuren ist für mich ein ganz wichtiger Teil des kulturellen Lebens. Die Chöre im ganzen Land sind Orte der kulturellen Auseinandersetzung, in der Regel einer historisch-kulturellen Auseinandersetzung. Es gilt herauszufinden, was die Kompositionen aus vergangenen Jahrhunderten für uns heute bedeuten, was sie uns zu sagen haben. Wie finden wir einen persönlichen Zugang dazu, wieder zu spüren, dass das, was da geschrieben steht, zu einer bestimmten Zeit ein ganz aktueller Kommentar gewesen ist. Wie integriere ich diese Idee in mich selbst? Wie finde ich in mir die Beziehung zu dem, was an diesem Stück ganz besonders ist? Und diese Arbeit finde ich unheimlich reich. Das wäre aber mit professionellen Sängern genauso. Der Unterschied ist relativ gering. Natürlich bringen professionelle Gesangsensembles andere stimmliche Fähigkeiten mit, aber auch ein professionelles Ensemble besteht aus Menschen, und am Ende ist das Interesse dasselbe. Es geht um Musik, es geht darum, die Tiefe auszuloten in dieser Musik, und es geht darum, eine persönliche Annäherung zu finden: zwischen Chor und Leiter, und zwischen allen Beteiligten und dem Werk. Jeder Mensch, der im Chor singt, geht zur Probe, weil es seinem Grundinteresse entspricht, man geht dort hin, weil man diese Auseinandersetzung sucht. Das einzige, was man dafür mitbringen muss, ist Offenheit. Es geht darum, offen zu sein für das, was man in einer Komposition vorfindet, egal, ob man das schon 20-mal gesungen hat, ob man es noch nie gesungen hat. Mir geht es selbst in der Vorbereitung auch immer so: Wenn die Musik gut ist, stoße ich jedes Mal wieder auf Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen waren und die mich wieder begeistern können. Mit dieser Begeisterung kann ich hinterher auch die Zuhörer anstecken.

Lassen wir uns in der Zeit zurückgehen: wie haben Sie sich mit der Musik getroffen? Welche Erlebnisse haben Ihren musikalischen Geschmack ausgeprägt?

DHD: Ich komme aus einem Elternhaus, in der Musik zum Alltag gehört hat. Zum kirchlichen Alltag, aber auch zum häuslichen Alltag. Singen gehörte bei uns von Vornherein dazu. Vor den Mahlzeiten haben wir gesungen und wenn wir zusammensaßen und keine bessere Idee hatten, oder auch im Auto auf der Fahrt in den Urlaub, wenn uns langweilig war, oder auch im Schulchor, einfach weil es Spaß macht. Für mich ist Singen etwas, das nicht nur im Konzertsaal stattfindet. Das war für mich immer ein Teil meines Lebens. Ob ich im Konzert stehe oder draußen die Straße entlang laufe, es passiert etwas ganz Ähnliches: beim Singen äußere ich mich und meine Persönlichkeit. Meine Person singt – innen drin – sowieso immer.

Professor Dennis Hansel-Dinar

Waren Ihre Eltern Musiker oder Liebhaber?

DHD: Liebhaber, die viel Hausmusik gemacht haben. Chorsingen war immer Teil davon. Mein Onkel, der auch Chorleiter war, und auch selbst kleinere Form komponiert hat, sehr großer Brahms-Liebhaber war, da war das Band dann auch sehr schnell geschnürt.

Können sie sich einen bestimmten Moment der ersten Katharsis erinnern?

DHD: Oh, der Erste… das ist schwer zu sagen. Das war für mich ein Prozess. Da die Musik immer da war, war sie für mich auch ein Ausdrucksmittel, gerade auch in der Jugend. Da habe ich zuweilen Stunden am Klavier verbracht, auch um meine Gefühle zu ordnen. Irgendwann habe ich angefangen, mich für Schubert und für Prokofjew zu interessieren und habe mir – die Tasten mit Kraft bearbeitend - an Prokofiews II. Sonate die Zähne ausgebissen. Das hatte zuweilen etwas “Trance”-artiges, das war unheimlich stark. Dann habe ich eine starke Prägung durch Professor Gisela Sott aus Frankfurt bekommen, die mir geholfen hat, mich pianistisch aufs Studium vorzubereiten. Das hat meinen Geschmack sehr geformt und mich überhaupt in die Körperlichkeit von Musik „hineingeworfen“. An der Hochschule waren es dann Prof. Christian Grube und Prof. Uve Gronostay, die mich als Chordirigenten sehr geprägt haben - im Unterricht wie auch in Konzerten. Ansonsten gibt es viele Werke, die mir zunächst erstmal wenig bedeutet haben, mich aber dann im näheren Studium gefangen genommen haben. Ich kann das “Deutsche Requiem” von Johannes Brahms nennen. Das kenne ich seit Ewigkeiten, und ich habe als Jugendlicher immer gehört, dass das so gut sei. Das habe ich dann auch immer schön brav wiederholt, aber im Grunde fand ich die Ehrfurcht, mit der die Menschen um mich herum diesem Stück begegneten, befremdlich. Jahre später habe ich es unter Leitung von Prof. Gronostay gesungen, und in dem Moment den Punkt gefunden, wo das für mich eine tiefere Bedeutung bekommen hat. Solche Momente hatte ich viele: Stücke, die ich schon kannte, und wo irgendwann im Studium den Punkt kam, an dem ich merkte: „Wow, in dieser Tiefe bedeutet dir das auch etwas“. Nicht allein, weil die Musik intensiv ist, sondern weil die Textzusammenstellung im Zusammenhang mit der Musik eine Gesamtaussage darstellt, die mit mir selbst was zu tun hat.

StS: Als ich da eben zugehört habe, habe ich eine ganze Menge Parallelen festgestellt. Ich komme auch aus einem Haushalt, in dem Musik eigentlich immer präsent war. Es wurde zwar weniger gesungen, aber meine Geschwister und ich haben ein Instrument gelernt. Meine Mutter hatte ihre musikalische Ausbildung an der Musikhochschule in Graz und arbeitete als Lehrerin, und insofern war da die Prägung gegeben. Mein Vater war eher ein Genießer klassischer Musik, von dem ich das Faible für Tschaikowski und Brahms geerbt habe. Ich habe sehr früh mit Geigenunterricht angefangen – schon im Alter von 4 Jahren. Im Laufe meines Lebens habe ich noch weitere Instrumente gelernt und zumindest zeitweise praktiziert: Bratsche, Tenorhorn und Folk-Gitarre, die ich mir irgendwann selbst beigebracht habe. Das erste Mal, dass ich selbst im Chor gesungen habe, war Beethovens „Neunte“. Meine Mutter hatte entdeckt, dass unser städtisches Symphonieorchester in der Zeitung nach freiwilligen Mitsängern für Beethovens Neunte suchte. Daraufhin haben meine Mutter, meine Schwester und ich bei den Proben und der Aufführung mitgemacht. Damals habe ich noch im Sopran gesungen – es ist also schon ein paar Tage her. Ich war 10 Jahre alt und es war sehr beeindruckend. Im Laufe meines Berufslebens habe ich zwar kaum noch selbst musiziert, aber ich habe immer irgendwo den Bezug zur Musik behalten. So war ich lange Jahre Abonnent bei den Düsseldorfer Symphonikern. Aber auch, als ich noch in München studierte, habe ich häufiger Konzerte der Münchner Philharmoniker besucht – damals, als Celibidache noch deren Chefdirigent war. Ich habe dort sensationelle Konzerte erlebt, an die ich mich immer noch mit Freude erinnere. Wenn ich heute im Auto unterwegs bin und Musik höre, ist es grundsätzlich klassische Musik. Ich finde das unheimlich bereichernd. Um nochmal auf das Erlebnis mit dem Beethovens Neunter zurückzukommen: so gegen Ende meiner Berufszeit, als klar war, ich höre auf, entstand die Idee: „Na ja, ich könnte mal schauen, ob es so eine Konstellation als Projekt auch hier in Düsseldorf gibt?“ Nun ist aus dem Projekt ein bisschen mehr geworden, aber ich bereue es keinen Tag!


„…genau dieses Erlebnis von Glücksgefühlen bei Jugendlichen nicht anders ist“ - Stefan Schwartze


Deutschland ist ein „singendes“ Land, es gibt knapp 4 Millionen Menschen, die in verschiedenen Chören, Vokalensembles und Singvereine singen. Wird es so bleiben? Oder besteht die Gefahr, dass die jüngeren Generationen weniger Spaß an der Kunst finden? Was kann ein so bedeutender städtischer Chor für die Popularisierung des Chorsingens tun, und damit auch für seinen eigenen Nachwuchs sorgen?

StS: Ich befürchte, dass es eher abnehmen wird, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Wenn man sich das Durchschnittsalter der im Chor singenden Personen anschaut, und damit meine ich jetzt nicht nur unseren Musikverein, ist es auch bei vielen anderen Chören so, dass sie sich eher aus der älteren Generation zusammensetzen. Auf der anderen Seite ist im Chor zu singen etwas, was unglaublich bereichernd sein kann. Ich kann mich erinnern, als ich hier aus den ersten Schnupperproben nach Hause gefahren bin, habe ich lauthals im Auto gesungen und ich kam mit einem breiten strahlenden Lächeln zu Hause an, weil ich einfach voll der Glücksgefühle war. Und genau das ist etwas, wofür sicherlich auch eine junge Generation empfänglich ist. Die Frage ist, wie man sie erreichen kann. Es muss sicherlich anders sein, das kann nicht auf traditionelle Art und Weise passieren, aber ich bin mir sicher, dass genau dieses Erlebnis von Glücksgefühlen bei Jugendlichen nicht anders ist als bei älteren Leuten. Daher werden wir auch im Musikverein neue Wege beschreiten müssen. Das wird mit Sicherheit ein längerer und zäher Weg sein, aber er ist es definitiv wert, ihn zu gehen.

DHD: Ich sehe das nicht so pessimistisch. Ich merke das im Alltag und würde eher an einer anderen Stelle anfangen: Ich finde interessant, dass Deutschland sich zu einem singenden Land hin entwickelt. Als ich ein Kind oder Jugendlicher war, hat Singen in der Schule eine viel geringere Rolle gespielt als heute. Es gibt die wunderbare SingPause in Düsseldorf, wo ganz viele Kinder in die Tonhalle kommen und gemeinsam singen. Was für eine wunderbare Sache: Erstens sind die Kinder dabei glücklich, zweitens sitzen die Eltern dabei und sind glücklich, weil sie den Klang der Kinderstimmen, diese Kraft hören. Singen ist eine Sache, die man erleben muss, damit man sie lieben lernt, und damit man sie dann auch weiter tut. Und die SingPause ist ein super Konzept, das die Kinder dahinführt, dass sie gerne singen wollen. Und auch die öffentliche Wahrnehmung hat sich verändert: Vor 30 Jahren war es kaum denkbar, dass ein Fernsehprogramm mit dem Titel „Der beste Chor im Westen“ hohe Zuschauerzahlen schreiben würde. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Chorszene in den letzten 20 Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Sie ist auch deutlich vielfältiger geworden. Es gibt nicht nur oratorische Chöre und Gesangsvereine, sondern Jazz- und Popchöre, a-cappella-Gruppen, die von der Gregorianik bis zu elaborierten Pop-Arrangements singen, Jugendchöre, die zeitgenössische a cappella-Chormusik aufführen und vieles mehr. Als Leiter muss man sich da überlegen, worin die Aufgabe des Ensembles besteht, und wie weit man stilistisch gehen möchte. „Okay, dieses Genre integriere ich jetzt noch in unserer Chorarbeit, und dieses nicht mehr“. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man auch mit einem Oratorienchor neue Formen des vokalen Musizierens finden kann. Aber man muss auch wissen, welche Aufgaben man hat. Zugleich bin ich absolut sicher, dass Jugendliche sich für Beethovens „Neunte“, für Haydns “Jahreszeiten” und für Brittens “War Requiem” begeistern lassen. Wir haben zwischen der Hochschule und dem Humboldt-Gymnasium eine Kooperation in deren Rahmen ich Singklassen betreue. Vor einigen Jahren waren wir beim Rundfunkchor in Köln und durften das Weihnachtskonzert mitsingen und haben mit den Kindern den ersten Satz von Bachs „Weihnachtsoratorium“ und das „Hallelujah“ aus dem Händel-Messias einstudiert. Die Kinder, das war eine 6. Klasse, hatten einen Riesenspaß. Und am Ende war ihnen egal, ob das Händel oder Bach oder Michael Jackson war. Die haben die Musik erlebt und sich davon begeistern lassen, völlig unabhängig vom Genre. Ich bin sicher, dass es möglich ist, Jugendliche gibt, die für klassische Musik zu begeistern sind. Die Herausforderung besteht darin, sie dazu zu führen, dass sie sich erstmal darauf einlassen und es ausprobieren.


„wir mit den Ideen entweder sehr nah beieinander sind oder uns wunderbar ergänzen“ - Stefan Schwartze


Zurück in die Gegenwart: welche Aufgaben wollen Sie nun als Erstes erledigen?

StS: Wir werden ab September wieder mit Proben in geschlossenen Räumen beginnen, selbstverständlich unter Maßgabe der jeweils geltenden Corona-Schutzverordnung des Landes NRW. Das heißt aktuell: zwischen den SängerInnen muss 3 Meter zur Seite und 4 Meter nach vorne Platz sein. Damit können wir nur mit 22 Personen gleichzeitig im Hentrich-Saal der Tonhalle proben. Ich sehe auch nicht, dass wir auf absehbare Zeit wirklich im großen Ensemble so, wie wir das bisher gekannt haben, ohne große Probleme zusammenkommen können. Da müsste man wahrscheinlich schon die Messehallen anbieten. Wir fangen jetzt mit dem „Mozart-Requiem“ in kleinen Gruppen an. Wir werden sechs verschiedene Gruppen sein, die an 3 Tagen in der Woche proben. Das heißt: jede Gruppe kommt alle 14 Tage einmal dran. Die Probenarbeit wird intensiver sein, die Proben werden länger sein. Das setzt aber voraus, dass jeder und jede sich selbst entsprechend gut vorbereitet. Dazu gibt es entsprechende Materialien. Für das zweite Werk, Kodálys „Psalmus Hungaricus“, das wir einstudieren, werden entsprechende Materialien ebenfalls bereitgestellt, sei es zum Erlernen der ungarischen Aussprache oder der eigenen Stimme. Damit kann und muss sich jeder selbst für die Proben vorbereiten, damit wir nicht in die Situation kommen, in der Probe erst die eigene Stimme üben zu müssen. Das wird am Anfang auch nicht perfekt sein, das kann auch nicht perfekt sein: Wir sind Amateure, da müssen wir realistisch sein, aber es wird schon ein neues Anspruchsniveau vorausgesetzt. Mit der längeren Probenzeit – weil wir eben nur in kleineren Ensembles proben können – orientieren wir uns an den Endterminen. Das ist das, was jetzt unmittelbar passiert. Ab Oktober werden wir dann die Gruppierung umstellen, weil wir dann sicherlich erstmal in Stimmgruppen arbeiten, das aber auch wieder in sechs Gruppen. Insofern ändert sich dann nur die Zusammensetzung der Gruppen. Zusätzlich werden wir uns in den kommenden Monaten verstärkt um Stimmbildung, Rythmusschulung, und die Schulung im Blattsingen bemühen. Dem wird mehr Gewicht verliehen, und zwar in Einheiten, die dann entweder parallel zu Stimmgruppenproben verlaufen oder an anderen Tagen stattfinden. Dies ist momentan noch in der Planung. : Letzlich hängt alles aktuell an den Räumlichkeiten, denn wir sind nicht die einzigen die diese Räumlichkeiten als Chor benötigen und stehen natürlich auch in Konkurrenz anderer Ensembles. Dies sind nicht nur die Räumlichkeiten in der Tonhalle, sondern beispielsweise auch im Palais Wittgenstein. Ich gehe davon aus, dass diese Art der Probenarbeit uns mit Sicherheit bis zum dem nächsten Jahr, möglicherweise sogar noch länger begleiten wird.

DHD: Davon gehe ich auch aus. Ich finde gerade entscheidend, zu prüfen, wie die Aufteilung in diese 6 Gruppen – die erstmal eher nach Notwendigkeiten erfolgt – funktioniert und zu entwickeln, wie wir mit der Situation am besten umgehen können. Dann gibt es eine Sache, die ich schon letztes Jahr, vor der Corona-Pandemie dachte: Es wäre mir wichtig, nicht ausschließlich große, orchesterbegleitete Musik zu machen, sondern den Klang auch dadurch zu entwickeln, dass wir uns mit unbegleiteter Musik beschäftigen. Es gibt a cappella-Kompositionen, die für diese Chorgröße komponiert worden sind, und die im Moment eher von Kammerchören gesungen werden, was auch schön ist, aber nicht dem Klangideal entspricht, für das sie erdacht wurden. Solche Stücke mit dem Musikverein zu singen, ist für mich ein Fernziel. Auf dem Weg dahin sehe ich, dass wir mit kleinerer Begleitung – mit Orgel- oder Klavierbegleitung – Konzerte machen können. In der jetzigen Situation bietet sich das auf besondere Weise an, denn wir haben im Grunde jetzt 6 kleine Chöre, wo man solche Stücke gut proben kann. Die Teilnehmer der Sommerproben haben ja schon einige a cappella-Stücke erarbeitet, da würde ich gerne sehen, wie sich das in den Gruppen etablieren lässt. Ich habe auch das eine oder andere Stück im Hinterkopf, was ich gerne ins Repertoire hineinnehmen wollen würde, aber im Moment - und so schließt sich der Kreis - freue mich erstmal sehr auf die Proben, in denen wir uns gegenseitig kennenlernen werden.

StS: Dem kann ich mich voll anschließen.  Wir beide, Dennis und ich, konnten uns in den letzten Wochen in Vorbereitung der Probenplanung intensiv abstimmen.  Diese Gespräche waren immer unglaublich produktiv und haben sehr viel Spaß gemacht. Dafür möchte ich mich bedanken. Ich stelle immer wieder fest, dass wir beide mit unseren Ideen entweder sehr nah beieinander sind oder uns wunderbar ergänzen, und von daher sehe ich unserer Zusammenarbeit in der Zukunft sehr optimistisch entgegen.

DHD:  Ich glaube auch, dass wir viel Spaß miteinander haben werden. Und trotzdem sind wir immer noch mittendrin in der Pandemie. Wir fangen jetzt mit den ersten Schritten an, aber wir brauchen Geduld und Gelassenheit, mit der Situation umzugehen. Ich will es nicht schönreden: Das alles wird nicht leicht, und es wird uns sehr fordern, aber ich wünsche mir, dass wir die Freude daran behalten.

Sts: Wenn uns das gelingt, dann gehen wir gestärkt daraus hervor. Dann spielen wir einer anderen Liga - das allein ist es wert.

GF

(Der Originaltext erschien in: NeueChorSzene Nr. 33)