Lebenslauf
100 Jahre Musikverein: Zweites Festkonzert unter Karl Panzner

Musikfest = Düsseldorf - 100 Jahr Städtischer Musikverein zu Düsseldorf am 12. und 13. 10. 1918

Karl Panzner war auch der Dirigent des zweiten Festkonzertes zum 100. Geburtstag des Musikvereins:

Johann Sebastian Bach: „Magnificat"
Kammersängerin A. Kämpfert, Frankfurt-Main, Sopran
Fräulein Gutheim, Düsseldorf, Sopran
Fräulein Elisabeth Hoffmann, Magdeburg, Alt
Heinrich Kühlborn, Darmstadt, Tenor
Johannes Brahms: „Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur"
Edwin Fischer, Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart: Sopran-Arie
Felix Mendelssohn Bartholdy: „114. Psalm" für achtstimmigen Chor
Ludwig van Beethoven: „Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67"
Das Städt. Orchester
Tonhalle Düsseldorf

Die Berichterstattung über das 100jährige Doppeljubiläum zur Gründung des Musikvereins und der Niederrheinischen Musikfeste stand auch unter dem Eindruck des verlorenen Krieges im Jahre 1918 und der enormen Zukunftssorgen, die sich in der Bevölkerung immer breiter machten. Kunstkritiker G. Luhde verlieh in seiner Kritik zum zweiten Festtag mit Beethovens „Schicksalsymphonie“ diesem Zeitgeist beredten Ausdruck:

(Düsseldorfer Zeitung)
„Düsseldorf, den 14. Oktober 1918
Die fünfte Sinfonie von Beethoven in c-moll, die vom Städtischen Musikverein in dem zweiten Jubiläumskonzert gestern abend aufgeführt wurde, ist so recht ein Motto für unsere Zeit. „So klopft das Schicksal an die Pforte“ hat Beethoven selbst von dem Hauptmotiv der drei stürmischen Achtelnoten mit der nachfolgenden furchtbaren Fermate gesagt. Mit eherner Wucht hat das Schicksal gegen die Tore unseres deutschen Vaterlandes geschlagen. Schloß und Riegel sind dabei zersprungen und klirrend sind die Flügel aufgeflogen. In schrecklicher Gestalt steht das Schicksal mitten unter uns und furchtbar dröhnt uns die Fermate seines donnernden Machtwortes in die Seelen. Wem wäre gestern, unter der schweren Wucht der Zeitereignisse stehend, nicht die Bedeutung der Stimme aus dem Grabe Beethovens aufgegangen, die Richard Wagner den Dirigenten zurufen läßt: „Halte du meine Fermate lang und furchtbar! Ich schrieb keine Fermaten zum Spaß oder aus Verlegenheit, etwa um mich auf das weitere zu besinnen, sondern was in meinem Adagio der ganz und voll aufzusaugende Ton für den Ausdruck der schwelgenden Empfindung ist, das werfe ich in das heftig und schnell figurierte Allegro als schrecklich anhaltenden Krampf. Dann soll das Leben dieses Tones bis auf seinen letzten Blutstropfen aufgesogen werden, dann halte ich die Wellen meines Meeres an und lasse in den Abgrund blicken!“ Auch die Fermate des Donnerwortes, mit dem uns jetzt das Schicksal anherrscht, ist furchtbarer Ernst, auch wir stehen schwindelnd vor einem jähen Abgrund, vor dem wir schaudernd zurückbeben. Die Zukunft liegt dunkel vor uns und wir wissen nicht, wie die Lose sind, die für uns im Zeitenschoße schlummern. Aber auch hier ist uns die Beethovensche Sinfonie ein Zeichendeuter, der uns helfen wird, das Gewebe der dunklen Schicksalsfäden zu entwirren. Aus ihr schöpfen wir die Zuversicht, dass für den ehrlichen Lebenskämpfer, der sich auf sich selbst, auf die starken Wurzeln seiner Kraft besinnt, der Weg durch Nacht wieder zum Licht führt. Wann uns dieses Licht wieder leuchten wird, ist uns heute verborgen, aber irgendwo, das sagt uns innere Gewissheit, ist es für uns entzündet. Aus der inneren Einkehr des Andantesatzes, die keinen Gedanken an Verzweiflung duldet, schöpfen wir die Kraft, durch Taten zu beweisen, dass Manneswürde nicht der Gotteshöhe weicht, und das männliche, in leisem Triumph erklingende Thema, das die Variationen dieses Satzes miteinander verbindet, ist uns ein Symbol neugewonnener innerer Festigkeit. So geläutert und gestählt trotzen wir mit dem grimmigen Humor des Fugatos im Trio den phantastischen Schrecken des dämonischen Scherzosatzes, und gefestigt und verjüngt durch das Stahlbad dieser Selbsteinkehr und Selbstbefreiung schreiten wir frei und stark dem jungen Tag entgegen, der uns mit blendendem Sonnenlicht durch das kristallklare C-dur des jauchzenden Siegerthemas hindurch aus dem Orchesterjubel des letzten Satzes entgegenflutet. Dann hat die furchtbare Fermate des Schicksalsmotives ihre Schrecken verloren und sie tönt in uns nur noch nach als die mahnende Stimme eines Freundes, die uns aus den Wirrsalen und dem Dornengestrüpp der Selbstentfremdung zu unserem wahren Selbst und damit zu den Wurzeln unserer Kraft zurückgeführt hat. So ist uns die fünfte Sinfonie ein mahnendes und tröstliches Symbol des Schicksals, das uns getroffen, uns unserer Zukunft, zu deren Aufbau wir alle, die wir uns mit unverlierbarem Stolz als Deutsche nennen, mit den besten Kräften unseres Wesens berufen sind. Deutschland ist mehr als ein geographischer Begriff, mehr als der rote Fleck auf der Landkarte, es ist vor allem unser Deutschtum, ein inneres Gut, das keine Macht der Welt zerstören kann, wenn wir nicht selbst unser größter Feind sind. Wenn wir erst selbst genesen sind, dann mag auch wohl einmal die Zeit kommen, dass an dem Wesen dieses Deutschtums die Welt genesen wird. In diesem den Herren Regierungspräsident Dr. Kruse und Oberbürgermeister Dr. Oehler in der Tonhalle zu den Konzertteilnehmern gesprochen wurden, als ein wertvolles Zukunftsprogramm. Ein Weg zu diesem Ziel ist die Pflege wesensechter deutscher Kunst, die sich nicht so sehr an das ästetische Genießen als an die lebendige Seele und ihre schaffenden Kräfte wendet.“

Der zweite Teil der Kritik von Herrn Luhde in der Düsseldorfer Zeitung befasste sich mit den übrigen Werken des zweiten Konzertabends:

(Düsseldorfer Zeitung)
„Düsseldorf, den 14. Oktober 1918
Das zweite Konzert am Sonntag war gleichfalls ein Festabend im wahren Sinne des Wortes, dessen Glanz von keinem Schatten getrübt wurde. Es begann mit dem Magnificat für Soli, Chor und Orchester von Bach. Auch hier wob alles sich zu einem Stimmungsganzen von edelster künstlerischer Ausprägung. Der Chor stand auch hier auf der Höhe seines reifen Könnens und zeigte sich in der geistigen Welt Bachs ebenso sehr zu Hause wie am Tage vorher in der Welt Haydns. Die nur zum Teil dankbaren Solopartien wurden von Frau Kammersängerin A. Kämpfert aus Frankfurt a.M. und Fräulein Gutheim-Düsseldorf (Soprane) sowie Fräulein Elisabeth Hoffmann aus Magdeburg (Alt) und Herrn H. Kühlborn-Darmstadt (Tenor) mit einer inneren Wärme gesungen, die auch das schöne Stimmaterial zur besten Geltung brachte. Das Orchester begleitete mit bemerkenswerter Anschmiegsamkeit. Frau Kämpfert ersang sich später dann noch mit der meisterhaft vorgetragenen Sopranarie „Et in carnatus est“ aus Mozart Messe c-moll einen starken Sondererfolg. Hier feierte ihre virtuose Stimmtechnik in der Ausprägung der feinen und mannigfaltigen gesanglichen Linien mit ihren komplizierten über das rein Formale hoch hinausragenden Koloraturen wahre Triumphe. Der Künstlerische Schwerpunkt des ersten Teiles aber war der Vortrag des Brahmschen zweiten Klavierkonzertes, op. 83 in B-dur durch Edwin Fischer aus Berlin. Auch hier war es, wie am Tage vorher bei der Aufführung der Schöpfung, als ob das Werk sich selbst gespielt hätte, als ob der Brahmsche Genius auf dem Flügel (und auch in dem sinfonisch behandelten Orchester, das unter Panzner gleichfalls musikalische Großtaten verrichtete) Zwiesprache mit sich selbst gehalten hätte. Für Gedanken an technische Meisterschaft blieb da kein Raum mehr und erst späterhin gab man sich Rechenschaft darüber, welch überlegene Pianistik und welch vollendete Kunst der Hand und der seelischen Konzentration sich hier zu einer Meisterleistung vereinigt haben mussten, um das Werk in solch absoluter Vergeistigung aus den Tönen des Flügels entstehen zu lassen. Dann folgte, den ersten Teil des Programms wuchtig abschließend, der 114. Psalm für achtstimmigen Chor und Orchester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, dessen harmonische Viel- und Wohlgestalt in prachtvoller Klangfülle tönendes Ereignis wurde. Den zweiten Teil füllte die schon beschriebene fünfte Sinfonie in c-moll von Beethoven, die in der meisterhaften Gestaltung durch Panzner all ihre Geheimnisse preisgab und so die Zuhörer aus der gehobenen Stimmung festlicher Weihe mit einem Mahn- und Trostwort in den trüben, von bangen Erwartungen erfüllten Alltag entließ.
Nach dem Konzert fand im Oberlichtsaal im kleinen Kreise ein gesellschaftliches Zusammensein statt, in dessen Verlauf die Mitteilung gemacht wurde, dass die Generalversammlung des Musikvereins beschlossen hat, die Herren Prof. Buths und Generalmusikdirektor Prof. Panzner zu Ehrenmitgliedern des Vereins zu ernennen.“

Bild: Titelseite aus dem Programmheft dieses Tages