Lebenslauf
Mendelssohn-Denkmal

(3) Fortsetzung des Aufsatzes von Edgar Jannott zum Mendelssohn-Denkmal:

Es ist sicher ein überzeugendes Zeichen der wechselseitigen Verbundenheit und des freundschaftlichen Einvernehmens, dass Mendelssohn nach seinem Weggang noch fünfmal eingeladen wurde, das Niederrheinische Musikfest zu leiten, - und er dies trotz seiner vielfältigen anderen Verpflichtungen auch tat.

Nun haben wir gehört, welche Bedeutung Mendelssohn für die gesamte Musikwelt als Komponist, Dirigent, Pianist und Organisator hatte und wie segensreich sein Wirken für Düsseldorf war. Nach meinem Kurzbericht über sein erfolgreiches Leben muss ich Ihnen aber leider auch berichten, wie die Nachwelt mit seinem Nachruf umgegangen ist.

Richard Wagner, ein Zeitgenosse Mendelssohns, hat Mendelssohn zu seinen Lebzeiten bewundert und sogar öffentlich bekannt, dass Mendelssohns Art zu komponieren ihn bei seiner kompositorischen Arbeit beeinflusst hat. Aber schon 1850, also drei Jahre nach dem Tod Mendelssohns veröffentlicht Wagner in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ unter dem Pseudonym Karl Freigedank einen Aufsatz über das „Judentum in der Musik“, den die Fachwelt heute durchgängig als „Pamphlet“ oder „Hetzschrift“ Wagners bezeichnet. Darin spricht Wagner den Juden generell die Fähigkeit zu künstlerischen Äußerungen ab und attackiert speziell Mendelssohn in einer Art und Weise, die ich hier bewusst nicht zitieren möchte, um nicht die zu belasten, die Richard Wagners verehren. Dieses unselige „Pamphlet“ veröffentlichte Wagner 1869, also knapp zwanzig Jahre später noch einmal, diesmal aber unter seinem eigenen inzwischen berühmt gewordenen Namen, um eine noch größere Wirkung für seine verurteilende Kritik an der Musik jüdischer Komponisten und insbesondere an Mendelssohn zu erzielen. Das führte nachweislich dazu, dass sich auch andere zeitgenössische und spätere Kritiker bemüßigt fühlten, die antisemitische Stimmung gegen Mendelssohn schon vor der Nazi-Zeit zu verstärken.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde dann schon ab 1933 generell die Aufführung Mendelssohn’scher Werke und auch jegliche wissenschaftliche Beschäftigung mit seinem Schaffen wegen der jüdischen Herkunft seiner Vorfahren verboten. Sein bekennender Wechsel zum Christentum wurde bei ihm wie auch bei Heine von den Nazis einfach negiert. Offensichtlich glaubten zur Nazi-Zeit Musikwissenschaftler sogar, sie könnten sich zusätzliche Anerkennung verschaffen, wenn sie diese zeitgerechte Verurteilung noch zusätzlich unterstreichen. So schreibt z.B. 1944 der damalige Musikwissenschaftler Karl Blessinger in seiner Veröffentlichung zum Thema „Judentum und Musik“: “Es ist leicht, den Unterschied deutschen und jüdischen Wesens im Grundsätzlichen klarzumachen. Wo der Deutsche klagt, schlägt der Jude ein lautes Wehgeschrei auf. Wo der Deutsche sein Gefühl ausströmen lässt, wird der Jude melancholisch und weinerlich. Der Gefühlsausdruck des Deutschen ist von Hause aus immer echt. Die Ausdrucksweise des Juden ist aber niemals ganz ehrlich. Und es ist für uns niemals ohne weiteres auszumachen, wieviel davon echt und wieviel davon erheuchelt ist.“

Die Wagner’sche Kampagne gegen das Judentum in der Musik und speziell gegen Mendelssohn sowie seine völlige Verurteilung durch den Nationalsozialismus hatten aber nicht nur das Verbot seiner Musik zur Folge, sondern auch die Zerstörung aller Mendelssohn-Denkmäler, die in deutschen Städten vor der Nazizeit errichtet worden waren. Dazu zwei Beispiele:

In Düsseldorf gab es ein großes bronzenes Mendelssohn-Denkmal. An der Vorderfront der alten Oper in Düsseldorf waren zwei Nischen. In der einen Nische stand das Denkmal Immermanns und in der anderen Nische das Denkmal Mendelssohns. Am 3. August 1901, fast auf den Tag genau vor 110 Jahren, wurden die beiden Denkmäler eingeweiht.

Sicher hatten gerade diese beiden Männer ein Denkmal für ihr kulturelles Wirken in unserer Stadt verdient. Dass aber ausgerechnet die beiden, die sich über eine Frage der kulturellen Entwicklung in unserer Stadt zerstritten hatten, nun als Denkmal an derselben Wand des Stadttheaters in Bronze gegossen dauerhaft nebeneinander stehen mussten und sich nicht mehr aus dem Weg gehen konnten, war verständlicherweise Anlass für viele Witzeleien. Insgesamt aber fand die Bürgerschaft die Idee, diese beiden Düsseldorfer Kunstheroen zu ehren, richtig. Wie in Leipzig übernahm deshalb damals auch in Düsseldorf die Bürgerschaft nach einem Spendenaufruf der Stadt die Kosten für beide Denkmäler. Es gibt noch heute die damalige Spenderliste. Würde sie veröffentlicht, würden sich viele Bürger darüber freuen, dass sich damals ihre Vorfahren an diesem bürgerschaftlichen Engagement zu Ehren Mendelssohns und Immermanns beteiligt haben.

Man konnte schon früh ahnen, dass es in der Nazizeit auch in Düsseldorf nicht nur bei dem Verbot der Mendelssohn’schen Musik blieb. So wurde zu Beginn des Jahres 1936 die „Mendelssohn-Straße“ in Düsseldorf, die seit 1886 ihren Namen trug, in „Hans-Schemm-Straße“ umbenannt. Man wollte künftig statt Mendelssohn den bayerischen Gauleiter ehren, der ein Jahr zuvor tödlich verunglückt war. Aber dabei bleibt es nicht. In der ersten August-Woche des Jahres 1936 wurden die Denkmäler Mendelssohns und Immermanns an der Oper von den Nazis demontiert. Der Sprecher des Presseamtes der Stadt Düsseldorf erklärte dazu: „Jeder deutschbewußte Bürger und Besucher Düsseldorfs erachtet die Entfernung des Mendelssohn-Denkmals als eine nationale Selbstverständlichkeit. Dieses Standbild in einer freigeistigen Zeit entstanden, kann kein Schmuckstück eines Theaters sein, das berufen ist, Mittler deutscher Kunst und Hüter deutscher Kultur zu sein.“

Die Entfernung des Immermann-Denkmals musste anders begründet werden, weil man seiner Familie keine jüdische Herkunft nachweisen konnte. Also sprach man davon, dass das Schauspielhaus aus optischen Gründen symmetrisch bestückt werden müsse und deshalb beide Nischen gleichzeitig geräumt werden müssten. In den „Düsseldorfer Nachrichten“ hieß es dazu am 31. Juli 1936: „Wenn dann die neue Theatersaison einsetzt, werden Düsseldorfs Theaterbesucher erstaunt sein, wie sich das Opernhaus in der kurzen Sommerpause vorteilhaft verändert hat.“

Das Mendelssohn-Denkmal stand nach seinem Abriss noch vier Jahre verborgen im Ehrenhof. Dann wurde es endgültig eingeschmolzen – übrigens genauso wie die Heinrich-Heine-Gedenktafel vom Heine-Geburtshaus und einige andere Erinnerungstafeln. Das eingeschmolzene Material dieser beiden Denkmäler von Mendelssohn und Heine wurde dann zur Unterstützung der bekannten Sammelaktion verwandt, die „als Metallspende des deutsches Volkes zum Geburtstag des Führers“ ins Leben gerufen worden war.

Das Immermann-Denkmal wurde dagegen kurz nach seinem Abriss im Hofgarten wieder aufgestellt und steht dort bis heute in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Schauspielhaus.

Auch in Leipzig hatten die Bürger wie in Düsseldorf zu Ehren Mendelssohns für ein großes Denkmal gesammelt und dasselbe vor dem Gewandhaus errichten lassen. Wenige Monate nach der Denkmalzerstörung in Düsseldorf ließen die Nazis in der Nacht vom 9. zum 10. November 1936 auch das Denkmal in Leipzig entfernen und später einschmelzen. Sie errichteten statt dessen einen großen Sockel für ein Richard-Wagner-Denkmal und verwendeten für die Kandelaber sinnigerweise die eingeschmolzene Bronze, die zuvor die Musen des Mendelssohn-Denkmals gebildet hatten. Nach der deutschen Wiedervereinigung haben die Leipziger Bürger aufgrund einer Initiative des Dirigenten Masur und des damaligen Oberbürgermeisters Tiefensee sofort erneut für ein Mendelssohn-Denkmal gesammelt und ein neues originalgetreues Mendelssohn-Denkmal an seinem ursprünglichen Standort errichten lassen. Auch in den anderen deutschen Städten, in denen es Mendelssohn-Denkmäler gegeben hatte, wie z. B. in Berlin und Hamburg, sind diese längst wiederhergestellt. Nur in Düsseldorf gibt es bis heute – 65 Jahre nach dem Krieg – noch immer kein Mendelssohn-Denkmal.

Machen wir einen kleinen Exkurs. Sie alle wissen, dass es in Düsseldorf noch einen zweiten großen Komponisten gab, der wenige Jahre nach Mendelssohn, nämlich von 1850 – 1854 als Städtischer Musikdirektor nach Düsseldorf berufen wurde: Robert Schumann. Schumann nannte seinen Kollegen Mendelssohn oft respektvoll den „Mozart des 19. Jahrhunderts“. Beide Komponisten waren miteinander durch eine von wechselseitigem Respekt getragene enge Freundschaft verbunden.

(Dazu drei kleine Beispiele: Als Schumann 11 Jahre nach Schuberts Tod in dessen Nachlass die unveröffentlichte „Große C-Dur-Symphonie“ Schuberts entdeckte, übergab er Mendelssohn die Partitur, damit der große Musikveranstalter und Dirigent die Uraufführung übernähme. Als Schumann sein großartiges „Klavierkonzert op. 54“ vollendet hatte, übergab er wiederum die Partitur Mendelssohn zur Uraufführung seines Werkes, bei der Clara Schumann den Klavierpart übernahm. Mit Robert Schumanns Zustimmung musizierte Mendelssohn häufig gemeinsam in Konzerten mit Clara Schumann, und zwanzigmal hat Mendelssohn Konzertveranstaltungen dirigiert, bei denen Clara Schumann als Solistin auftrat. Ich verehre die Musik Robert Schumanns genauso wie die Mendelssohns. Ich möchte unbedingt vermeiden, die musikalische Bedeutung beider Komponisten zu vergleichen. Aber ich glaube, schon aus den genannten Beispielen ist deutlich geworden, dass Schumann Mendelssohn für den größeren Dirigenten hielt.)

Was die Jahre anbetrifft, in denen Robert Schumann in Düsseldorf lebte, so waren sie zwar von großen kompositorischen Erfolgen geprägt (sein populärster Erfolg ist sicher die „Rheinische Symphonie“, die er in der Ankunftseuphorie in nur wenigen Tagen komponiert hatte). Aber wer die Zusammenhänge nur ein wenig genauer kennt, weiß, dass sein Wirken für die Stadt Düsseldorf als Städtischer Musikdirektor schon wegen seiner gesundheitlichen Probleme mit dem erfolgreichen und zukunftsweisenden Wirken Mendelssohns nicht vergleichbar ist. Auf den tragischen Verlauf der Schumann-Jahre in Düsseldorf, die bekanntlich mit einem Selbstmordversuch endeten, möchte ich deshalb hier bewusst nicht näher eingehen.

(Schon bald nach Dienstantritt gestaltete sich für Robert Schumann die Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Orchester so schwierig, daß seine Frau Clara oft vermitteln oder sogar bei der Orchesterarbeit aushelfen mußte. Schumann überlegte deshalb schon frühzeitig, sein Amt des Städtischen Musikdirektors vorzeitig niederzulegen. Aber sein sechstes Kind Eugenia hatte sich angekündigt, und das vergrößerte seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen er sich damals bereits befand. Als im Laufe des Jahres 1852 in der Stadt sogar Rücktrittsforderungen laut wurden, fühlte sich Schumann, der ohnehin gesundheitlich geschwächt war, auch noch seelisch schwer verletzt. Wie wir alle wissen, versuchte er ein Jahr später am Rosenmontag 1854 durch einen Sprung von der Oberkasseler Brücke in den Rhein sich das Leben zu nehmen. Er wurde zwar gerettet, aber in die Heil- und Pflegeanstalt in Endenich eingewiesen, wo er eineinhalb Jahre später verstarb.)

• Düsseldorf kann jedenfalls stolz sein, dass ihre früheren Stadtväter sich bei der Auswahl ihrer Städtischen Musikdirektoren für zwei so berühmte Komponisten wie Mendelssohn und Schumann entschieden haben. So viel kluge Vorausschau ist Stadtvätern selten gegönnt. An das Wirken von Mendelssohn und Schumann für unsere Stadt zu erinnern, ist deshalb eine lohnende und ehrenvolle Aufgabe, meines Erachtens sogar eine Pflicht. Folgerichtig hatten deshalb ja auch Stadt und Bürgerschaft vor dem Krieg beiden ein würdiges Denkmal gesetzt.

Nach dem Krieg hat sich das Ganze aber ganz anders entwickelt. Schumann allein wurde zum „musikalischen Helden“ unserer Stadt. Wir kennen in Düsseldorf heute eine Robert-Schumann-Hochschule, eine Clara-Schumann-Musikschule, eine Robert-Schumann-Gesellschaft, eine Robert-Schumann-Gedenkstätte, eine Robert-Schumann-Forschungsstelle, einen Robert-Schumann-Saal, ein Robert-Schumann-Denkmal im Hofgarten, eine Robert-Schumann-Büste am Eingang der Tonhalle, eine Schumann-Straße und das traditionelle Schumann-Fest, das wir alle zwei Jahre feiern.

Aber was ist mit Mendelssohn? An Mendelssohn erinnert in Düsseldorf nur eine Mendelssohn-Straße, der man nach dem Krieg korrekterweise ihren Namen zurückgegeben hat, eine Mendelssohn-Büste im Opernhaus und eine Büste am Eingang der Düsseldorfer Tonhalle.

Schluss im nächsten Eintrag (4)

BIld: Cécile Charlotte Sophie Mendelssohn Bartholdy (geborene Jeanrenaud, * 10. Oktober 1817 in Lyon; † 25. September 1853 in Frankfurt am Main) war die Ehefrau von Felix Mendelssohn Bartholdy und die Mutter des Historikers Carl Wolfgang Paul Mendelssohn Bartholdy (1838–1897) sowie des Chemikers Paul Mendelssohn Bartholdy (1841–1880).