Lebenslauf
Robert Schumann

Fortsetzung des vorangegangenen Artikels:

(2)"Bereits Ende Januar 1851 beginnt Robert Schumann mit den Proben zur Johannes-Passion, vorher nimmt er Kontakt mit Thomaskantor Moritz Hauptmann auf und bittet ihn um Ausleihe von Orchesterstimmen und aufführungspraktische Hinweise. Zur Verstärkung des Tenors engagiert er Sänger aus den Nachbarorten Köln und Neuss und setzt bei den Chorälen zusätzlich 50 Knabenstimmen ein. Bei der Aufführung dürften demnach etwa 180–200 Choristen mitgewirkt haben. Zusätzlich zu den von Hauptmann ausgeliehenen Orchesterstimmen schreibt er zu einzelnen Nummern Bläserarrangements, deren Entwürfe Gerd Nauhaus vor einigen Jahren im Skizzenmaterial des Oratoriums „Der Rose Pilgerfahrt“ entdeckt hat. Zum Dirigat benutzte Schumann diesmal nicht den verschollenen, für die Dresdener Aufführung verwendeten Klavierauszug, sondern die ebenfalls 1831 bei Trautwein erschienene Partitur. Glücklicherweise hat sich diese als direktes Relikt des Aufführungsmaterials erhalten. Sie befindet sich heute, trotz des unübersehbaren Stempels „Musikverein Düsseldorf“ auf der Titelseite, im Schumann-Haus Zwickau. Auf allen Seiten dieser Partitur finden sich Notizen Schumanns, die Aufschluß geben darüber, was übersprungen wurde, wie nicht mehr vorhandene Instrumente (bspw. Viola da Gamba) ersetzt wurden, welche Dynamikabstufungen er vornahm, wann Tempowechsel eingeleitet wurden etc. Auch zur Besetzung des Continuo finden sich verschiedentlich verbale Hinweise wie „Saitenquartett“. Die Arie Nr. 31, „Es ist vollbracht“, ursprünglich für Solo-Gambe und Continuo geschrieben, besetzte Schumann mit Bratsche als Soloinstrument und einer Begleitung von Bratschen und Cello. Die Noten zu letzterer stammen zwar von Schumanns Hand , gehen aber, wie der Briefwechsel mit Hauptmann zeigt, auf letzteren zurück, daher wohl auch das von Schumann zugefügte Fragezeichen zur Begleitung von Takt 3.
Schumanns Düsseldorfer Händel-Aufführungen standen – wie gezeigt – in einer langen Tradition, sie beruhten auf Stimmenmaterial, das seine Vorgänger Mendelssohn und Rietz für den Düsseldorfer Musikverein angeschafft bzw. selbst arrangiert hatten. Dies bedeutet auch, daß Händels Oratorien für Düsseldorf nichts neues waren, sondern zum Repertoire gehörten. Deutlich anders war die Voraussetzung bei Schumanns Aufführung der Bachschen Johannes-Passion. Hier gab es nur wenig Vorläufer, insbesondere Bachs (Bild) protestantische Kirchenmusik war in der zwar preußischen, doch überwiegend katholischen Residenzstadt Düsseldorf noch recht unbekannt. Für Schumann selbst war diese Aufführung allerdings von noch weitreichenderer Bedeutung. Ein Brief Schumanns an Wolfgang Müller von Königswinter zeigt, daß Schumann versuchte, mit dieser Aufführung Maßstäbe zu setzen:
„Verehrter Dr. Müller,
Der Bedeutung des Werkes halber, das wir gestern aufgeführt, eines über hundert Jahre wohl vergrabenen Schatzes, wäre es wünschenswerth, das auch in weiteren Kreisen davon bekannt würde. Sie sagten mir früher einmal, dass Sie mit der Augsburger, auch mir der Kölnischen Zeitung in Verbindung stünden. Würden Sie nicht eine Anzeige für eines dieser Blätter übernehmen?
Die gestrige Aufführung war die erste größere, die überhaupt je von dem Werk stattfand. Die Matthäuspassion ist hier und da aufgeführt (in Berlin und Leipzig, auch Breslau glaub’ ich), die Johannispassion nur einigemale in Leipzig vom Thomanerchor und dann auch nicht vollständig und überhaupt nur in kleinerer Aufführung.
Dass die Aufmerksamkeit der deutschen Kunstwelt auf dieses, eins der tiefsinnigsten und vollendetsten Werke Bach’s hingelenkt würde, dazu möchte auch ich beitragen, und auch durch Ihre Hand. Es sollte mich freuen, wenn Sie meine Bitte erfüllten.[...]“
Es geht Schumann demnach nicht nur darum, ein Gegenstück zur Erstaufführung der Matthäus-Passion im 19. Jahrhundert durch Mendelssohn zu schaffen, sondern um mehr. Es geht um die Säkularisierung der Bachschen Kirchenmusik, um die Aufhebung ihrer kirchenmusikalischen Bindung und Aufnahme in den Kanon weltlicher Konzertmusik. Schumanns Aufführung im April 1851 ist sicher nicht die erste Aufführung der Johannes-Passion im 19. Jahrhundert, aber es ist die erste, die mit dem Anspruch auftritt, das Werk als absolutes Kunstwerk allen Menschen zu öffnen, nicht nur dem protestantischen Kirchgänger, der er selber nie war."
Matthias Wendt, Schumann-Forschungsstelle Düsseldorf