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Musikfest = Granada - XI Festival Internationale de Musica y Danzs, Granada

An dieser Stelle geben wir einen anschaulichen und unterhaltsamen Reisebericht unseres Mitgliedes Joachim May wieder der verdeutlicht, in welchen Verhältnissen und mit welchen Schwierigkeiten solche Reisen in den sechziger Jahren durchgeführt wurden. Im Eintrag vom 2.7.1966 findet sich eine Andeutung der Probleme, die Gisela Kummert zu bewältigen hatte und die hier beschrieben sind:

"Carmina burana 1966 in Granada

In der Konzertsaison 1965/66 gab es nach dem Ausscheiden von Jean Martinon in Düsseldorf keinen GMD. Die Konzerte, an denen der Städtische Musikverein beteiligt war, fanden in dieser Zeit der Vakanz unter der Leitung verschiedener Gastdirigenten statt. Wir hatten uns, zwar von Hartmut Schmidt immer bestens „eingepaukt“, in der jeweiligen Konzertwoche - das Ritual von Proben und Aufführungen von Montag bis Freitag wird sich gewiß nicht verändert haben - jeweils auf einen neuen Dirigenten einzustellen, sicherlich eine nützliche Herausforderung. Auf dem Programm der erwähnten Saison standen als letztes Konzert die „Carmina burana“ - ich weiß nicht mehr unter wessen Leitung (Anm. Heinrich Bender in Düsseldorf). Anläßlich einer Chorprobe überraschte uns unser umtriebiger, unvergessener Kunibert Jung mit der Mitteilung, der kommende GMD Rafael Frühbeck de Burgos habe uns im Verlauf seiner Gespräche für die neue Tätigkeit in Düsseldorf eingeladen, zusammen mit dem spanischen Nationalorchester unter seiner Leitung im Rahmen der andalusischen Festspiele die „carmina“ ein weiteres Mal aufzuführen, und zwar in Granada auf der Alhambra im Palast Karls V.
Das war ein Ding! Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Nachdem wir unsere zwei Aufführungen in Düsseldorf abgeliefert hatten, noch schnell nach Belgien gereist waren, um - wenn ich mich richtig erinnere, unter Hartmut Schmidts Leitung den „Elias“ aufzuführen (Anmerk.: Festival van Vlaanderen in Tongeren) - starteten wir auf unterschiedlichen Wegen von Düsseldorf gen Madrid. Von dort fuhren wir mit zwei Bussen südwärts. In Aranjuez waren die schönen Tage zwar nicht zu Ende, aber hier etwa endete die Asphaltstraße, und wir fuhren nach dem Abendessen auf Schotterpisten hinauf in das kastilische Hochland, bis die Fahrt wegen einer Motorpanne in menschenleerer Gegend bei stockdunkler Nacht ihr vorläufiges Ende fand. Während die Fahrer unserer Busse sich mühten, den unwilligen Motor wieder zur Raison zu bringen, bestaunten wir den phantastischen südlichen Sternenhimmel, um schließlich mit gehöriger Verzögerung die Reise fortzusetzen. Sichtlich erleichtert begrüßte uns in den frühen Morgenstunden bei der Ankunft in Granada unser Vorauskommando, das schon die schlimmsten Befürchtungen wegen unseres stundenlangen Ausbleibens hegte. Ja, hätte man schon ein handy gehabt!
Ich erinnere mich an meine Unterkunft in einer kargen Zelle eines ehemaligen Klosters. Die Räume waren angenehm kühl und von dem Laubengang vor der Tür hatte man einen herrlichen Blick in den patio, dessen Baum- und Strauchbestand mitsamt den Brunnen und Wasserbecken dort eine wunderbare Ruhe ausstrahlten. Die hatte man auch nötig, denn die Proben unter neuer Leitung stimmten uns auf eine ganz andere Werkauffassung ein. Diese Probenarbeit machte uns viel Freude, der gut eingearbeitete Chor stellte sich ohne Mühen auf den anderen Dirigenten und seine andere Interpretation ein.
Auch wenn wir von unserer „obersten Heeresleitung“ vergattert wurden, während der Mittagshitze - es war immerhin Hochsommer! - siesta zu halten, auch irgendwelche kräftezehrende Unternehmungen während unserer freien Zeit zu unterlassen, schließlich auch den abendlichen Rotweingenuß der Stimme zuliebe in Grenzen zu halten oder gar zu meiden, blieb noch genug Gelegenheit, sich umzusehen. Wir durchstreiften die Alhambra und den Generalife, ohne wie heutzutage im Touristengedränge im Viertelstundentakt durch die herrlichen Bauten und Anlagen geschoben zu werden. Ich erinnere mich an einen wunderbaren Liederabend im Brunnenhof und eine Ballettaufführung im Generalife. Bei Tage die Stadt, bei Nacht Flamenco in den Höhlen der Zigeuner auf dem sacro monte, und wenn wir ein wenig Abkühlung brauchten, fuhr uns ein Taxi in die Höhen der siera nevada, wo wir uns neben dem Schnee über eine tolle Aussicht freuten.
Ja, und schließlich das Konzert. Im Palast Karls V. war für den Chor gegenüber dem Eingang eine bis in die obersten Ränge reichende Tribüne aufgebaut, zu unseren Füßen saß das Orchester. Alle Ränge waren vollbesetzt, über uns sahen wir den nächtlichen Himmel - die Aufführung begann etwa um 23 h. Jeder war mit allen Fasern bei der Sache; es wurde ein hinreißendes Erlebnis! Ich verließ den Palast Karls V. mit dem festen Vorsatz, die „Carmina burana“ nie wieder mitzusingen, weil jede Wiederholung eine Enttäuschung bedeutet hätte.
Unsere Rückreise verlief ähnlich aufregend wie die Hinfahrt. Unser Bus hatte Probleme mit dem Kühlwasser. Unterwegs mußte ein Dorfklempner mit dem Lötkolben am Kühlsystem werkeln. Im weiteren Verlauf gab es immer wieder einen kurzen Halt, um Kühlwasser nachzufüllen, zuletzt mitten auf einem Verkehrskreisel in Madrid, wo der Busfahrer den dort mit dem Wässern der Blumenrabatten Beschäftigten den Wasserschlauch aus der Hand riß, um seinen Bus mit dem nötigen Naß zu versorgen. Nahezu auf den letzten Pfiff erreichten wir den Flughafen. Von hier flogen wir wieder auf verschiedenen Routen nach Düsseldorf. Ich mußte in Brüssel umsteigen, eine kleine Maschine brachte uns nach Düsseldorf. Wir flogen nicht sehr hoch durch eine Gewitterfront, der Himmel war schwarz, Blitze zuckten und aus dem überflogenen belgischen Industriegebiet sahen wir die offene Glut der Stahlwerke unter uns. Ein Höllenritt, der eine wunderschöne, erlebnisreiche Woche abschloß, an die ich mich wie ersichtlich nach fast fünfzig Jahren noch dankbar und lebhaft erinnere.
Joachim May am 22. Dezember 2013"

Bild: Alhambra in Granada