Aktuelles
Veröffentlichung einer Besprechung von „Kreiten´s Passion“ in einer niederländischen Musikzeitschrift

Der Peitschenhieb von Rudi van Dijk

Eine beeindruckende Premiere in Düsseldorf

Die Premiere der umfangreichen neuen Komposition von Rudi Martinus van Dijk „Kreiten`s Passion“ in Düsseldorf ging unbemerkt an der niederländischen Presse vorbei. Mensch und Melodie jedoch waren anwesend zu diesem Höhepunkt der Karriere eines oft zerrissenen, niederländischen Komponisten.
Maarten Brandt schreibt zum Hintergrund und Inhalt von „Kreiten`s Passion“ und von der Konzertaufführung.
Die Anzahl der geschriebenen Kompositionen über die schrecklichen Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg sind außergewöhnlich umfangreich. Bekannte Beispiele sind „ Ein Überlebender aus Warschau“ (1947-1948) von Arnold Schoenberg, das „War Requiem“ (1961) von Benjamin Britten, die „Erste Symphonie oder Versuch eines Requiems“ (1936/1945) von Karl Amadeus Hartmann, die „Nachricht an die Lebenden“ (1964-1965) von Hans Henkemans und die nicht vergessene „Anne Frank Cantate“ (1984) von Hans Kox.
Der in Culemborg geborene Niederländer, in seinem Wesen eher ein kosmopolitischer Komponist Rudi Martinus van Dijk (1932) vollendete seine imposante und nahezu 55minütige „Kreiten`s Passion“ für Bariton, Chor und Orchester mit Texten von Heinrich Riemenschneider (1924).
Das Werk erlebte am 19.September 2003 in der Tonhalle in Düsseldorf seine Feuertaufe durch die Aufführung mit dem international gefeierten Bariton Andreas Schmidt, dem Städtischen Musikverein zu Düsseldorf (einstudiert durch Marieddy Rossetto) und der Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten John Fiore. Nicht nur dieses, sondern auch die darauf folgenden Konzerte am 21. und 22. September waren ausverkauft, obwohl der Name Rudi van Dijk vor ein paar Jahren in Deutschland noch völlig unbekannt war. Die ausgetüftelte Kombination von Beethovens Eroica, schien hier die goldene Formel für die Entstehung eines Opussees zu sein. Immerhin betrifft es hier zwei Kompositionen, die sowohl zeitgebunden, als auch universell sind. Zeitgebunden deswegen, weil das Werk als Folge eines Geschehens entsteht, welches einen so großen Eindruck auf den Künstler gemacht hat, das dieses seine Kreativität beeinflusst. Universell dadurch, das sich das Geschehen jederzeit wiederholen könnte und durch die vereinte Sprache, derer sich beide Komponisten bedienen. Einer Sprache der Musik, die sich in der heutigen Zeit entfaltet und ihr dann zu entfliehen droht.
Der Inhalt von „Kreitens`Passion“ beschreibt das tragische Los des im Jahre 1916 geborenen Pianisten Karl Robert Kreiten, als er das Hitlerregime traf. Kreiten hielt sich mit seiner Meinung über das Regime nicht gerade bedeckt, und musste dafür nach einem mühsamen Prozess mit dem Ausstoß aus der Gesellschaft büßen, welcher mit seiner Exekution endete. Damit verlor Deutschland einen seiner phänomenalsten Musiker. Kreiten, der auf Empfehlung Wilhelm Furtwänglers (mit dem er später auch zusammenarbeitete) bei Claudio Arrau studierte, wurde allgemein wegen seiner Mozart-, Brahms-, Liszt- und Chopindarstellungen bewundert. Darüber hinaus komponierte er auch selbst. Die damalige zeitgenössische Musik, z.B. Strawinsky`s Petruschka Suite, Prokofjevs drittes Pianokonzert und Werke von Othmar Schoeck, fand in ihm einen wichtigen Darsteller.
Für Kreitens letzten Auftritt am 22. März 1943, der Bitte einer Einladung nach Florenz zu folgen und sein Lieblingsstück Liszts Klavierkonzert in Es zu spielen , wurde im von den Behörden keine Ausreisevisum genehmigt. Am 03. Mai wurde er durch die Gestapo verhaftet und in der Nacht vom 07. September zusammen mit 185 Mitgefangenen von den Nazis durch Erhängen getötet. Eine schreckliche Aktion, die unter dem zunehmenden Druck der Bombenangriffe der Allierten durchgeführt wurde.
Peitschenhieb

Seit Jahr und Tag steht das Leben von Karl Robert Kreiten im Mittelpunkt des Autors und Schauspielschreibers Heinrich Riemenschneider. So schrieb er 1983 die dramatische Dokumentation „Der Fall Karl Robert Kreiten“. Als Riemenschneider die Musik von Rudi van Dijk hörte, fühlte er eine dermaßen große künstlerische Verwandtschaft, das er sich entschloss einen Text für eine Komposition zu schreiben, die das Leben von Kreitens letztem Jahr im Allgemeinen, sowie seine Verurteilung, Gefangenschaft und seinen Tod beschreibt. Es sollte eine besondere Klangfarbe bekommen.
Das Resultat dieser sehr intensiven Zusammenarbeit zwischen van Dijk und Riemenschneider ist „Kreiten`s Passion“. Eine Partitur, die mehrere Schichten in sich vereinigt, wie es im Allgemeinen in der Barockzeit bei alten Passionen der Fall ist. So ist die objektive, epische Dimension in dieser Geschichte durch den Bariton und den Chor dargestellt. Dem gegenüber steht ein deutlich subjektiver Klang, zum Ausdruck kommend durch sieben instrumentale Zwischenspiele, durch die der Zuhörer in die Gemütsschwankungen des Karl Robert Kreiten hineingezogen wird. Der Komponist will damit bezwecken, das der Zuhörer die Musik, ohne voreingenommen zu sein, auf sich einwirken lässt, um sich dann sein eigenes Bild zu machen. Ein anderes, nicht weniger interessantes Element, sind die drei Konzerte mit denen Kreiten während seiner Karriere Furore gemacht hat. Das bekannte Konzert in A von Mozart, das erste Pianokonzert von Brahms und das bereits erwähnte Konzert in Es von Liszt.
Nach einer kurzen, unter die Haut gehenden, düsteren Einleitung findet das „Mini-Pianokonzert“ statt, in dem unter anderem auch aus van Dijks eigenen Werken zitiert wird. Damals durch Geoffry Madge und das Moord Nederlands Orkest zu Groningen zum erstenmal vertont (1994-1995). In dem dritten Teil dieser Komposition ist ein Peitschenhieb zu hören. Dieser Peitschenhieb markiert in „Kreiten`s Passion“ den Moment, in dem Kreitens Werdegang zum Pianisten abrupt unterbrochen wird. Der Beifall, der auf theatralische Weise durch den Chor folgt, gibt dieser Episode einen sehr senistischen Beigeschmack.

Persönliches

Wer der Meinung ist, das diese „Mini-Pianokonzert“ eine Art Fremdkörper ist, hat dieses total missverstanden. Ein zutreffendes Beispiel ist das suggestive Zusammenspiel von Musik und Text, welches den Tagesablauf der Gefangenen deutlich macht (z.B. Papierschneiden: vorher meine Fingerübungen) und speziell an die Zeit kurz vor der Execution erinnert (Vergangene Jahre…Wunderbare Erinnerungen, so viele Höhepunkte in meiner musikalischen Laufbahn haben mich leichtsinnig gemacht!). Als Gegensatz zu dem tristen Hintergrund der Akkorde der Streicher, zeichnen sich die Motive der Holzbläser (mit verfremdeten Verweis auf Liszt Konzert in Es). Nachdem die eigentliche Verurteilung ausgesprochen ist und der Bariton seinem Part folgt, schmuggelt van Dijk fast beiläufig, und gerade dadurch so meisterhaft, Fetzen von „Dies Irae“ in das Stück. Dieser Teil mündet in einem zweiten „Coup de theatre“, in dem der Bariton nach den Worten „Nach dem Gebet gehe ich den Weg zu Gott, gestärkt und gefasst“ das Podium verlässt. Ein starkes Symbol für Kreitens Gang zum Galgen.
In dem abschließenden Choral, der an „Bachs Johannes Passion“ erinnert, wird die dringliche Nachricht von „Kreiten`s Passion“ verkündet: Nur die Wahrheit kann den Menschen auf Erden ein besseres Leben garantieren.
Nach dem Ausklingen des Schlussakkords, ist noch eine kurze Sekunde lang der Kontrabass zu hören, womit dieses Stück begann. Auch wiederholt sich das punktierte, rythmische Motiv der Pauken, als Echo der Hinrichtung Kreitens, so das man bezweifeln darf, ob der Mensch jemals erkennt, das er sich nur durch die Wahrheit on willkürlichen Terror befreien kann.

Klarheit

Obwohl van Dijk mit „Kreiten`s Passion“ ein ziemlich umfangreiches Werk geschrieben hat- ein ausgedehntes Schlagzeugsolo inklusive- ist die Klarheit des Stückes ein besonderes Kennzeichen. Keinen Moment gerät die Verständlichkeit des Textes in Verzug, und wenn wir von Climaxen sprechen, dann manifestieren sie sich ununterbrochen an Stellen, wo das gesprochene bzw. gesungene Wort fehlt.
Die Chorpassagen sind nicht selten sehr dramatisch und erinnern zuweilen an die Passagen aus Schönbergs „Moses und Aaron“, eine Partitur, die van Dijk wahrscheinlich sehr gut kannte. Man sollte hierzu auch erwähnen , das er damals bei Schönbergs Lehrling Max Deutsch studiert hat.
Das Streichorchester fungiert meist als ein integriertes, harmonisches basso continuo zu dem Bariton-Solisten und gleichzeitig als Ausschmückung des Hintergrundes, wnen die (Holz)Bläser und manche Solostreicher (Cello) Ihre Motive spielen.Der Singstil des Bariton ist quasi-parlando – dies mit einem Auge auf die Verständigung – und wird, je nachdem, wie es die Dramatik erfordert melismatisch, wie z.B. bei der Aussprache in der Episode, die der Exekution Kreitens vorangeht: „Die Henker arbeiten Tag und Nacht“. Weiterhin muss erwähnt werden, das van Dijks „Kreiten`s Passion“ eine eklektische Komposition ist. Nicht alleine wegen der geliehenen Musik von Mozart, Brahms und Liszt, sondern auch und vor allem wegen der im Hintergrund anwesenden Partien von Bachs refrendierendem Konzept – ein ausdrücklicher Verweis auf Wiens expressionistische Tradition. Es eine Komposition, die uns durch die musikalische und rethorische Präsentation, an ein episches Musiktheater denken lässt, so wie es auch durch Hindmith ausgeübt wurde (man denke an sein auf Brechts basierendes „Lehrstück“ aus 1929). Das dies, und auch der fast immer andauernde Mix aus Tonalität und A-Tonalität zu einem bröckeligen Ganzen geführt hat, ist in hohen Masse der Auslegung einfachster musikalischer Ausgangspunkte zu verdanken, wie z.B. die kurzen Sekunden der Kontrabässe und das punktierte, rhytmische Schlagen der Pauken.
Es entsteht eine Klangfarbe, die der jede Abschweifung zu einer falschen Sentimentalität (einer Gefahr, die bei dieser Art Komposition besteht) mit strickter Hand abgewehrt wird. Nicht nur diesem Werk van Dijks sprechen die Choral-Themen für sich, sondern auch in seinem Violinenkonzert (1983-1984), einem Konzert, das zu den Besten dieser Art in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts gehört, spielen sie eine wichtige Rolle.
Im Gegensatz hierzu steht die mehr expressionistische Seite in van Dijks Stil, der nicht nur in „Kreiten`s Passion“, sondern auch in dem, für den bekannten, mittlerweile verstorbenen Bariton Viktor Braun geschriebenen Stück „The Shadowmaker“ (1978) deutlich wird.
So kann man ruhig behaupten, das „Kreiten`s Passion“ wie eine Art musikalisches Testament zu verstehen ist, in dem verschiedene Linien van Dijks auf eine überraschende Art zusammentreffen.

Ohne Anwesenheit
Die Weltpremiere von „Kreiten`s Passion“ war nicht nur ein musikalisches Ereignis der ersten Klasse, bei der die Veröffentlichungen der deutschen Presse am Vorabend so umfangreich waren, wie sie nur einer wichtigen Aufführung von Louis Andriessen zuteil kommen könnten. Nein, auch hatten verschiedene Organisatoren eine beeindruckende Reportage über das Leben des Karl Robert Kreiten zusammengestellt und dazu eine Website (www.fkoester.de/kreiten/home/seite1.html) eingerichtet, in welcher sämtliche Informationen über diesen Künstler zu finden sind.

Speziell für diesen Anlass wurde der aus Berlin kommende, niederländische Ambassadeur Dr. Nikolaos van Dam in Düsseldorf mit einem großzügigen und stilvollen Empfang willkommen geheißen. Es war eine hörbare Zusammenkunft, bei der viele hochgestellte Funktionäre aus den Nachbarländern ihre Aufwartung machten. Auch wurden bei dieser Gelegenheit die kulturellen und wirtschaftlichen Kontakte gestärkt.

Große Abwesenheit zeigten leider nur die niederländischen Musikergruppen und die niederländische Presse, was aber niemanden zu erstaunen braucht, da die Entfernung zu Düsseldorf (und wahrscheinlich jeder anderen im Ausland liegenden Stadt) schon seit der Decennia unüberbrückbar scheint. Und zu einer Premiere eines niederländischen Komponisten in einem großen Saal, in einer der bedeutsamsten Städte Deutschlands, dreimal ausverkauft und von der deutschen Presse schon in alle Himmelsrichtungen berichtet, kurz gesagt: ein Ereignis, das bis heute fast komplett ohne niederländische Beteiligung und außerhalb unserer Landesgrenzen stattfindet, dafür steht man doch nicht auf!
Außerdem scheint es da eine unergründliche Verbindung zwischen dem einerseits passenden und andererseits unpassenden europäischen Gedanken zu geben. Die Neigung der nicht anwesenden niederländischen Presse sich, was die Berichterstattung betrifft, ausschließlich auf regionale Gebiete zu beziehen, ist wohl gut genug für einen Hausfrauenchor aus Losser, aber schlecht für das nationale und internationale Musikleben.

Notizen

1) Der Vater von Karl Robert war der niederländische Pianist Theo Kreiten, der mit der Sängerin Emmy Barido verheiratet war. Die Familie zog ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes nach Düsseldorf.
2) Nach Meinung der Komponisten repräsentieren die Kontrabässe während der Einleitung, sowie der Epilog, das Fliegen von über hundert Bombenwerfern in der Nacht, hoch über Holland auf dem Weg nach Deutschland. Die Pauke spiegelt das dumpfe Geräusch der Abwehrschützen wieder. Danach ist es wohl ein Sicherheit gebendes Gefühl, endlich wieder die Kirchenglocken läuten zu hören. Zu Anfang wird dieses Läuten kurz vom Piano veranschaulicht, bevor das sogenannte „Mini-Pianokonzert“ beginnt.

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Die Übersetzung bewerkstelligte unsere Mitglied, Frau Wilma Diekmann-Bastiaan, der ich ganz besonders für diese große Arbeit danke.

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Manfred Hill
-Vorsitzender-
am 1. Dezember 2004